Anonym - Briefe der Lust
dir in die Hosen pinkeln, Kleiner.“
Die Frau vor uns warf uns über ihre Schulter einen entnervten Blick zu. Da ihre eigenen drei Kinder während des gesamten Films geredet hatten und auf ihren Sitzen herumgehüpft waren, war ich mir nicht ganz sicher, ob ich sie ungestraft mit ihrer Grimasse davonkommen lassen sollte. Aber dann ignorierte ich sie doch und konzentrierte mich auf meinen Bruder.
„Nein, ich will warten“, beharrte er, den Blick starr auf die Leinwand gerichtet.
Seufzend sah ich ihm dabei zu, wie er sich auf seinem Sitz wand. Er würde sich vollkommen nass machen, aber ich erinnerte mich nur zu gut daran, wie es war, wegen einer Teenagerblase die besten Teile eines Films zu verpassen. Nicht, dass dieser Film irgendwelche besten Teile gehabt hätte.
Mein Handy vibrierte erneut, was mir einen weiteren bösen Blick von Mrs Sauertopf aus der Reihe vor mir einbrachte, während ich es aufklappte und eine neue Nachricht von Austin fand.
Ich denke daran, wie gut Deine Haare immer duften.
Irgendwann einmal hatte ich eine Haarklammer in eine Steckdose gesteckt. Was soll ich sagen? Ich war jung und dumm und damals schien es mir eine gute Idee zu sein. So ähnlich wie dieser SMS-Flirt. Austins Nachricht sorgte dafür, dass ein ebenso eisigwirbelndes Prickeln durch meinen Körper tobte, und nur indem ich mir auf die Zunge biss, konnte ich ein lautes Keuchen unterdrücken.
Das Ende des Films rettete mich. Zum Glück wurden im Abspann keine herausgeschnittenen Szenen und Versprecher gezeigt. Ich hastete mit Arty auf die Toilette, wo er eine Ewigkeit pinkelte, während er über den Film plapperte. Das Gewicht des Handys in meiner Tasche lenkte mich so ab, dass ich vergaß, dafür zu sorgen, dass Arty sich die Hände wusch, was mir erst einfiel, als er auf dem Weg zum Parkplatz nach meiner Hand griff.
„Du bist die allerbeste Schwester, Paige. Ich hab dich lieb.“ „Ich habe dich auch lieb, Batman.“ Ich zerwühlte ihm die Haare, während ich ihm dabei half, den Sicherheitsgurt anzulegen.
Mein Handy blieb stumm, und ich ebenfalls. Während des gesamten Heimwegs redete Arty genug für uns beide. Als ich vor dem Haus meiner Mom vorfuhr, hatte er mir den gesamten Film noch einmal erzählt, inklusive aller Dialoge, und ich fragte mich, wieso er in der Lage war, einen achtminütigen Dialog Wort für Wort zu wiederholen, es aber nicht schaffte, sich seine Telefonnummer zu merken.
„Rein und sofort fürs Bett fertig machen“, befahl ich ihm im Vorgarten. „Kein Getrödel.“
„Okay.“ Er stürmte durch die Tür und war bereits oben auf der Treppe verschwunden, als meine Mom aus der Küche kam.
„Jetzt hat er auch genügend Cola mit Koffein intus“, erklärte ich ihr. „Das ergänzt sich gut mit dem Zucker.“
„Prima.“ Das Lachen meiner Mom klang gezwungen.
In meiner Tasche summte mein Handy.
Als ich keine Anstalten machte, nachzusehen, zog sie die
Augenbrauen hoch. „Ich bin also nicht die Einzige, deren Anrufe du ignorierst?“
Da fiel mir ein, dass ich eigentlich wegen irgendetwas böse mit ihr hätte sein sollen. „Das ist Austin.“
Sie versuchte nicht einmal, den freudigen Ausdruck in ihrem Gesicht zu verbergen. Dann wandte sie sich ab, um ein Blech voller Brownies aus dem Backofen zu holen und oben auf den Herd zu stellen, bevor sie die Topflappen auf die Arbeitsplatte warf. „Ich bin nicht überrascht. Du warst so lange total verrückt nach dem Jungen …“
„ Verrückt ist das entscheidende Wort.“
Sie wandte sich um und schaute mich an. „Ich habe mich entschuldigt, stimmt’s?“
Ich schaute erst die Brownies und dann sie an. „Was ist los?“
„Nichts ist los. Warum sollte irgendetwas los sein?“ Sie rumorte im Kühlschrank herum und holte schließlich etwas heraus, das wie eine Schüssel Karamellglasur aussah.
„Weil du nur backst, wenn du außer dir bist.“
Sie hielt mir die Schüssel hin. „Probier das mal. Ist es zu süß?“
„Ich will das nicht probieren, Mom.“
„Versuchst du, auf deine Figur zu achten?“ Sie fuhr mit dem Finger um den Rand der Schüssel und probierte. Dann zog sie eine Grimasse. „Ist das hier zu süß? Ich glaube, es ist zu süß.“
„Was ist los?“ Dieses Mal stellte ich die Frage in ruhigerem Ton, und nun stellte sie die Schüssel weg, um mir zu antworten.
„Leo ist ausgezogen.“
Seit meiner Geburt war meine Mom mit zahllosen Männern zusammen gewesen. Mit einigen hatte sie eine feste Beziehung gehabt. Mit anderen
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