Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
den Medien richtig dargestellt wird, ist die Tatsache, dass wir unempfindlich gegenüber körperlichen Schmerzen sind. Trotzdem kann man immer noch unsere Gefühle verletzen.
»Da wären wir«, sagt Tom, als wir die Grabstelle seiner Schwester erreichen, die von einem Pitbull totgebissen wurde. Ich schätze, das liegt in der Familie.
Wir versammeln uns im Kreis um das Grab.
»Das ist Donna«, sagt Tom. »Donna, das hier sind die anderen.«
Die anderen murmeln »Hi, Donna«, und von Jerry kommt ein »Was geht?«. Ich winke einfach.
»Wie alt war deine Schwester, als sie gestorben ist?«, fragt Naomi und steckt sich eine Zigarette an.
»Sie war erst vierzehn«, sagt Tom, während das zerfetzte, freiliegende Gewebe unter seinem linken Auge im flackernden Schein von Naomis Feuerzeug wie ein schwarzes, zerstörerisches Muttermal aufleuchtet. »Eigentlich bin ich ihretwegen Hundetrainer geworden. Ich dachte, so könnte ich verhindern, dass jemand anders dasselbe Schicksal erleidet.«
»Ups«, sagt Carl.
Jerry kichert, und Rita gluckst. Ihr Lachen ist ansteckend, und ich muss grinsen.
Heute Abend trägt Rita einen knöchellangen Rock zu einer schwarzen Wollstrickjacke und einem weißen Rollkragenpulli, der lediglich einen Tick heller ist als ihre Haut. Im Dunkeln wirkt es fast, als wäre sie unter der Strickjacke nackt.
Heute sehe ich Rita zum ersten Mal seit unserem Sonntagsspaziergang und Abschiedskuss in der SPCA wieder, und ich fühle mich ein wenig unwohl. Ich weiß nicht, wie
ich mich verhalten oder was ich grunzen soll. Außerdem habe ich Schuldgefühle. Denn der Friedhof erinnert mich an Rachel. Ich möchte nicht unbedingt auf diese Weise an meine Frau erinnert werden, aber was soll man machen? Doch als Rita in meine Richtung blickt und lächelt, lösen sich die Schuldgefühle mehr oder weniger in Luft auf.
Nachdem wir Toms Schwester die Ehre erwiesen haben, folgen wir Helen zum Grab ihrer Mutter. Tom gerät erneut ins Straucheln und stürzt über einen weiteren Grabstein, so dass die Nähte an seiner rechten Schulter aufplatzen und sich sein Arm lockert. Jerry und Rita können sich kaum noch beherrschen und haben größte Mühe, ihr Kichern zu unterdrücken und den Moment der Stille nicht zu stören, um den Helen uns für ihre Mutter gebeten hat. Sie ist auf der Toilette von Macy’s an einem Herzinfarkt gestorben.
Als wir bei Helens Mutter fertig sind, verbringen wir die nächste Dreiviertelstunde damit, die zuletzt Verstorbenen aufzusuchen; nicht um ihnen die Ehre zu erweisen, sondern um uns zu vergewissern, dass sie wirklich tot sind.
Es liegt auf der Hand, dass viele Untote wiederbelebt wurden, nachdem man sie beerdigt oder beigesetzt hat, darum ist eines unserer Ziele auf der Welttodestour, diejenigen aufzustöbern, die vor kurzem zur letzten Ruhe gebettet wurden, und zu lauschen, ob sie möglicherweise doch nicht ganz so in Frieden ruhen. In dem Fall vernehmen wir ihr Klopfen, Schreien, Winseln und hysterisches Gelächter.
Es ist nicht immer ganz leicht, sie zu hören, wenn man bedenkt, dass wir es mit einer Schicht aus zwei Metern Erde und einer dreißig Zentimeter dicken Decke aus Marmor und Beton zu tun haben, ganz zu schweigen von
einem Hartholzsarg. Doch wir Untoten sind alle auf derselben Wellenlänge, so dass wir erlauschen, was die Lebenden lieber ignorieren.
Klar, dass Atmer diese Verbundenheit zu den Untoten nicht spüren und daher ihre Hilferufe auch nicht hören. Selbst wenn sie es könnten, ist fraglich, ob sie etwas unternähmen. Eine Exhumierung kostet eine Menge Geld. Ganz zu schweigen von der Schande, die Untoten wieder ins gesellschaftliche Leben zurückzuholen.
Heute Nacht stoßen wir allerdings auf keinen beerdigten oder beigesetzten Untoten, was nicht weiter überrascht. Durchschnittlich wird pro Jahr nur eine von zweihundert Leichen wiederbelebt. Bei jährlich viertausendachthundert Toten in Santa Cruz County ergibt das ungefähr zwei Dutzend Zombies. Und die meisten davon werden vor der Beerdigung wiederbelebt. Nur ganz selten geschieht das mitten während der Beisetzung.
So wie bei Jerry.
Ein Freund von ihm hat das alles mit einer Videokamera aufgenommen und an Amerikas Lustigste Zombie-Videos verkauft. Jerry hat die Folge aufgezeichnet und zu einem unserer Treffen mitgebracht, um sie uns zeigen.
Es war eine ganz normale Beerdigung. Der Pfarrer steht oben auf dem Podium und hält voller Inbrunst eine Rede, während er um Fassung ringt. Im Hintergrund das Geräusch
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