Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
versteht. Jemand, der mich mitten in der Nacht in den Arm nimmt und tröstet, wenn mich die Leere, das Gefühl von Verlust und die Trauer wie die Wände eines Sargs umschließen. Jemand wie Rita.
Bevor ich mich weiter dafür rechtfertigen kann, dass ich für jemanden außer Rachel solche innigen Gefühle hege, ertönt der Schrei einer Frau.
Der Schrei eines Atmers kommt vor allem aus Hals und Lunge. Mit letzter Kraft. Wie bei einem Teekessel, der sein Leben aushaucht. Der Schrei eines Zombies hingegen klingt wie das Gekreische eines sich paarenden Waschbären, allerdings eines fünfundsiebzig Kilo schweren Exemplars auf Crack.
Das hier ist der Schrei eines Zombies.
Er ist von links vorne gekommen. Ein paar Minuten zuvor habe ich gesehen, wie Naomis Feuerzeug rechts von mir aufflammte, und Helen ist beim Mausoleum geblieben - kommt also nur noch Rita infrage.
Ein erneuter Schrei, gefolgt von Kampfgeräuschen und dem Gelächter mehrerer Atmer, dann dringt Toms Stimme, laut und bestimmt, durch die Dunkelheit.
»Hey, lasst sie in Ruhe.«
Ich humple, so schnell ich kann, zu Tom und Rita, doch ich bin immer noch langsamer als eine Schnecke. Während ich zwischen den Grabsteinen hindurchschlurfe, begleitet von den lauter werdenden Stimmen der anderen Gruppenmitglieder, brüllt Tom erneut etwas, diesmal voller Verzweiflung.
»Lasst ihn los!«, ruft Rita. »Lasst ihn …!«
Ihr Satz wird vom Geräusch eines Schlags, Holz auf Fleisch, unterbrochen.
Als ich die beiden endlich erreiche, sehe ich, wie Tom, der am Boden liegt, von zwei jungen, männlichen Atmern in Sweatshirt und Jeans attackiert wird. Ein Dritter steht Schmiere und hält Rita mit einem Baseballschläger und einer Pinzette zum Fädenziehen auf Abstand.
Ich will Rita und Tom zur Hilfe eilen, doch mit meinem kaputten Arm und meinem gebrochenen Knöchel kann ich nicht viel ausrichten. Wäre ich ein Superheld, wäre meine Name so was wie Untoter Krüppel. Oder Nutzloser Zombie.
Mir fällt nichts Besseres ein, als zu schreien.
»Beeilt euch, Jungs«, sagt der Typ, der Schmiere steht, mit erregter Stimme, während er mit der Pinzette in meine Richtung fuchtelt.
Tom stößt einen letzten, gequälten Schrei aus, als einer der Atmer ihm den rechten Arm abreißt und ihm mit seiner eigenen Hand ins Gesicht schlägt. Dann stürzen die drei johlend und lachend davon, während sie mit Toms rechtem Arm in der Luft herumwedeln.
Carl und Jerry rennen an mir vorbei und nehmen die Verfolgung auf. Ohne meinen gebrochenen Knöchel würde ich es ihnen gleichtun. Stattdessen schlurfe ich zu Rita, um zu sehen, wie es ihr geht, während Naomi und Helen zu uns stoßen.
»Was ist passiert?«, fragt Naomi und hilft Tom auf die Füße.
»Ich hab Rita schreien gehört und gesehen, wie diese drei Atmer sie zu Boden gedrückt haben«, erklärt Tom. »Ich hab versucht, sie zu verjagen, aber ratzfatz hocken sie auf mir und schnippeln an meinen Nähten rum.«
»Verbindungstypen«, sagt Rita. Ihr zerzaustes Haar hängt ihr ihn dicken Strähnen ins Gesicht. Sonst scheint sie unversehrt zu sein. »Das hier ist vom Sweatshirt eines der Jungs.«
Sie streckt die Hand aus und zeigt uns eine silberne Anstecknadel mit den griechischen Buchstaben ΣX.
»Ich hab schon mal davon gehört«, sagt Helen. »Das ist eine Art Aufnahmeritual. Man muss dabei den Körperteil eines lebenden Toten klauen.«
»Sie haben allerdings nicht versucht, irgendein Körperteil von mir zu klauen«, sagt Rita mit einem frivolem Unterton in der Stimme.
Statt zu kreischen, gebe ich diesmal ein Knurren von mir.
»Atmer sind einfach widerlich«, sagt Naomi, während sie die Zigarette in ihrer leeren Augenhöhle ausdrückt.
Ein paar Minuten später kehren Carl und Jerry mit leeren Händen zurück.
Carl lehnt sich gegen einen Grabstein. »Sie waren mit dem Wagen hier«, sagt er. »Wir waren nicht schnell genug.«
Tom seufzt und setzt sich, die linke Hand vorm Gesicht, auf den Boden.
»Das mit deinem Arm tut mir leid, Alter«, sagt Jerry.
»Habt ihr die Autonummer?«, fragt Naomi.
Carl schüttelt den Kopf. »Es war zu dunkel.«
»Was spielt das schon für eine Rolle?«, sagt Rita. »Uns hilft ja sowieso niemand.«
Sie hat Recht. Die Polizei will bestimmt wissen, was wir auf dem Friedhof zu suchen hatten. Das College würde Partei für die Studentenverbindung ergreifen. Und das Führungsgremium der Sigma Chi sich vor seine Mitglieder stellen. Wenn wir die Anstecknadel als Beweisstück vorlegen, wird man uns
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