Anonyme Untote - Eine Zombie-Liebesgeschichte
räumen.
Doch als ich mich umdrehe, nachdem ich das abgezählte Kleingeld in den Fahrkartenautomaten geworfen
habe und den Gang des halbvollen Busses hinunterschaue, bleibe ich wie angewurzelt stehen.
Ich bin von Atmern umgeben.
Wenn ich den Gang hinunterwanke, um im hinteren Teil Zuflucht zu suchen, ziehe ich womöglich alle Aufmerksamkeit auf mich, und man wirft mich raus oder verfrachtet mich in die SPCA, bevor der Bus überhaupt losgefahren ist. Und wenn ich mich auf den nächsten leeren Platz setze, laufe ich Gefahr, dass weitere Fahrgäste sich an mir vorbeischlängeln oder sich möglicherweise neben mich setzen.
»Nehmen Sie bitte Platz«, sagt der Busfahrer.
Ich habe keine Ahnung, ob es daran liegt, dass alle Atmer im Bus mich anstarren, dass mich ein Atmer ohne jede Böswilligkeit anspricht oder dass ich das Andenken an Rosa Parks und William Shatner beschmutze, aber ich löse mich aus meiner Erstarrung und nehme auf der nächsten freien Sitzbank Platz, zwei Reihen hinter dem Fahrer, direkt am Fenster. Sollte sich jemand neben mich setzen, werde ich so tun, als würde ich schlafen. Das dürfte nicht allzu schwer sein, wenn ich bedenke, dass ich es gerade geschafft habe, so zu tun, als wäre ich noch am Leben.
Ich fange an zu grinsen, denn ich hocke in einem Bus voller Atmer, die keine Ahnung haben, was ich bin, während sie darauf warten, dass wir losfahren. Doch der Bus bewegt sich nicht von der Stelle, und ich bemerke, wie mich der Fahrer im Rückspiegel betrachtet; sicher starren mich auch die Fahrgäste noch an. Sie spüren, dass irgendwas nicht stimmt, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist, aber sie wissen nicht, was, denn die naheliegende Antwort kommt für sie nicht in Betracht. Ein Zombie würde niemals versuchen, einen Bus zu besteigen. Trotzdem scheint
irgendwas nicht ganz richtig zu sein, etwas, das sie alle spüren, ohne es genau benennen zu können.
Das rede ich mir zumindest ein.
Gerade droht mich die Erinnerung an Panik und Verzweiflung zu überwältigen, da mich der Busfahrer erneut ins Visier nimmt - als er einen Hebel betätigt. Zischend schließen sich die Vordertüren. Der Bus gibt einen hydraulischen Furz von sich und fährt los; und ich bin auf dem Weg zu Annie.
Es kommt mir länger als vier Monate vor, dass ich meine Tochter zuletzt gesehen habe. Manchmal habe ich Schwierigkeiten, mich daran zu erinnern, wie sie überhaupt aussieht. Dennoch - ich bin ganz aufgeregt bei dem Gedanken, sie wiederzusehen, ihr Lachen zu hören. Ich hoffe nur, dass ich die Busfahrt überstehe.
Als ich noch lebte, habe ich in Santa Cruz nie die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt, und jetzt weiß ich auch, warum. Die Sitze sind ungefähr so bequem wie mittelalterliche Folterstühle, außerdem halten wir alle zwei Minuten an, damit Fahrgäste ein- und aussteigen können, und viele der Atmer, die den Bus nehmen, riechen nicht viel besser als ich. Zumindest falle ich da geruchstechnisch nicht auf.
Wenig später stoppt der Bus im Soquel Village, neben dem Bürgerzentrum, in dem sich unsere Gruppe trifft. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster, auf die Passanten und die Autos voller Atmer, die keine Ahnung haben, dass sich mitten unter ihnen, in einem Bus der Verkehrsbetriebe, ein Zombie befindet, der sich den Grenzen seines Daseins widersetzt.
Ich bin es nicht gewohnt, mich bei Tageslicht unbehelligt durch die Stadt zu bewegen, darum kommt mir alles
leicht surreal vor, als wäre ich nicht ganz hier, als würde ich gerade eine außerkörperliche Erfahrung machen. Allerdings ist mein ganzes Dasein eine Art außerkörperlicher Erfahrung.
Als sich die Bustüren öffnen, steigt eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn ein. Sie wirkt, als wäre sie seit drei Tagen auf den Beinen und wüsste, dass sie so bald auch nicht ins Bett kommt. Ihr Sohn, der um die acht, neun Jahre alt sein muss, scheint der Grund für ihre Schlaflosigkeit zu sein.
Der Junge springt mit beiden Füßen gleichzeitig auf die Stufen und kommt mit der Wucht eines Profi-Wrestlers wieder auf, was er mit einem ohrenbetäubenden Spektrum an Soundeffekten untermalt.
»Ronnie«, sagt seine Mutter, »hör bitte damit auf.«
Ronnie, der inzwischen die oberste Stufe erreicht hat, hüpft weiter auf und ab und gibt dabei seine kleinen Explosionen von sich.
Kinder wie er sind der Grund, warum an den Schulen Empfängnisverhütung auf den Lehrplan gehört.
Während er in den hinteren Bereich des Busses davonstürzt, bezahlt seine Mutter mit einem
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