Anruf aus Nizza
noch keine Nachricht...«, sie schlief schon fast, »...nichts von der YPSILON? Alle tot?«
»Noch keine Nachricht.«
Sie hörte noch Gittas leichte Schritte, dann glitten ihre Gedanken in den Traum.
*
Als Irene um halb acht geweckt wurde, brauchte sie eine Weile, um sich zu besinnen, weshalb sie hier in einem Krankenzimmer lag, und weshalb auf einer schwarzen Tafel über ihrem Bett geschrieben stand:
Irene Keltens, 24 Jahre alt.
Natürlich, da war zuerst der Streit mit Paul Clarisch gewesen, und soweit sie sich erinnerte, oder erinnern wollte, hatte sich Paul unsagbar gemein benommen. In zwei Jahren, nach seiner Rückkehr aus Afrika, heiraten! Die Zumutung, in seiner Dachkammer zu wohnen, mit einem Baby, und auf seine Geldsendungen zu warten!
Später die Straße, der kleine Schwächeanfall... ein Auto... ein junger Mann mit einer tiefen, weichen Stimme, der sie hierher gebracht hatte, und dessen Namen sie nicht einmal wußte.
Und schließlich, mitten in der Nacht, ihr entsetztes Aufwachen, alles voll Blut — warmes Blut...
In ihrer Verwirrung hatte sie auf die Klingel gedrückt, wie eine Irre hatte sie geklingelt und war froh gewesen, als ihr ein junger Assistenzarzt endlich Spritzen gab.
Sie schaute sich um. Die Morgensonne schien grell auf das Weiß des Krankenbettes. Mit einem Ruck setzte sie sich im Bett auf.
Diese Blutungen hätten ja ihr Problem gelöst, sie hätte vielleicht das Kind gar nicht zu bekommen brauchen! Eine Riesendummheit hatte sie gemacht. Ich muß vom Schlafmittel benommen gewesen sein, dachte sie, sonst hätte ich diese Chance niemals verpaßt. Ich hätte gewartet, so lange gewartet, bis die Ärzte nichts mehr hätten retten können.
Die junge Schwester mit dem Gesicht eines roten Winterapfels brachte das Frühstück.
»Na, wie fühlen wir uns?«
»Großartig«, sagte Irene mißmutig.
Der Winterapfel studierte die Krankenkarte, die am Fußende des Bettes hing, dann schaute sie Irene strahlend an.
»Gott, welches Glück, Frau Keltens, daß Ihr lieber Mann so vorsorglich darauf bestanden hat, Sie hier bei uns zu lassen! Der Herr Doktor wird schon wieder alles in Ordnung bringen.«
Irene sprang aus dem Bett, aber die erschrockene Schwester hielt sie fest.
»Nicht doch, nicht doch, Frau Keltens! Sie müssen ganz, ganz ruhig liegen, sonst passiert es noch einmal. Und nach dem Frühstück bekommen wir einen Eisbeutel auf das Bäuchlein, und später wird Ihnen der Arzt zur Sicherheit noch mal eine Spritze geben.«
Irene konnte sich nicht mehr beherrschen.
»Scheren Sie sich raus!«
Die Schwester starrte sie entgeistert an. Dann lächelte sie.
»Ja, ja, Frauen in Ihrem Zustand sind oft ein wenig nervös, weil sie sich Sorgen um das Kindchen machen. Wir sind das schon gewöhnt und nehmen so leicht nichts übel.«
Trotzdem verschwand sie auffallend rasch. Irene schob den Rolltisch mit dem Frühstück beiseite. Was hatte die Schwester gesagt? Ganz ruhig liegen, sonst passiert das noch einmal?
Sie hüpfte aus dem Bett, sprang wieder hinein, und dann machte sie Kniebeugen und Freiübungen, bis ihr die Luft ausging.
Als sie endlich erschöpft auf dem Bettrand saß, verspürte sie Hunger. Sie bezwang sich jedoch und rührte das Frühstück nicht an, weil sie hoffte, auch das würde sie schwächen. Tatsächlich schlief sie bald darauf ein und erwachte erst von dem Gefühl, jemand schaue sie an.
Als sie die Augen aufschlug, sah sie einen mittelgroßen Mann an ihrem Bett stehen.
»Ich bin Dr. Berckheim. Wie fühlen Sie sich, gnädige Frau?«
Irene war verwirrt. Sie sagte mit schwacher Stimme: »Danke, Herr Doktor, soweit ganz gut, glaube ich.«
Der Arzt griff nach ihrem Puls. Sie spürte den festen, sicheren Griff, während seine Augen sie nicht losließen. Behutsam legte er ihre Hand auf die Bettdecke zurück und sagte:
»Ich glaube, Sie brauchen sich keine Sorgen mehr zu machen. Nach menschlichem Ermessen ist die Gefahr einer Fehlgeburt vorbei, wenigstens im Augenblick. Das erste?«
Irene senkte den Blick und nickte verschämt, wie es sich ihrer Ansicht nach für eine junge Mutter schickte.
»Wird schon gutgehen«, sagte der Arzt. »Wann kommt Ihr Mann?«
Herrgott, dachte sie, also hat mich dieser Kerl heute nacht als seine Frau ausgegeben? Vorsichtig sagte sie: »Ich weiß nicht, Herr Doktor. Kann ich später heimfahren?«
»Es wäre mir lieber, ich hätte Sie noch eine Weile zur Beobachtung hier.«
Verführerisch kuschelte sie sich in ihrem Bett zurecht und fragte mit
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