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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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Quadratkilometer der Kahamas ein und attackierten Sniff, bis sein linkes Bein gebrochen war und er aus Mund, Nase, Stirn und Rücken blutete. Als er sich zusammenkauerte, packte ihn Satan am Nacken und lutschte Blut von seiner Nase. Dann griffen Satan und Sherry sich jeweils ein Bein, um Sniff kreischend einen Hang hinunterzuschleifen. Sein Martyrium dauerte 35 Minuten, bevor ihn die Angreifer liegen ließen. Wie verletzte Tiere meist, verkroch sich der todwunde Sniff unauffindbar in ein Dickicht. Als sich nach einigen Tagen in der Gegend ein starker Verwesungsgeruch einstellte, war klar, dass die Kahama-Gesellschaft aufgehört hatte zu existieren. Kurze Zeit später begannen die siegreichen Kasakela-Männer samt Familien in jenem Areal zu schlafen und auf Nahrungssuche zu gehen, das in den fünf Jahren zuvor Kerngebiet der Kahamas gewesen war.« 22
    Hierbei handelt es sich nicht um eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei verfeindeten Völkern, sondern um eine Episode aus dem mehrjährigen Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Kahama-Schimpansen gegen die Kasakela-Schimpansen am Ufer des Tanganjikasees in Tansania.
    Wir können also davon ausgehen, dass es Rousseaus Vorstellung von einem individualisierten Naturmenschen so nie gegeben hat. Sehr wohl können wir aber davon ausgehen, dass die Fähigkeit, mit anderen mitzufühlen, im Menschen von Geburt an angelegt ist. Gleichzeitig gibt es empirische Belege dafür, dass Verhaltensweisen, die dazu führen, andere zu schädigen, ebenfalls evolutionär verankert sind. Trotzdem dürfen wir keinen naturalistischen Fehlschluss begehen und aus der Tatsache, dass Tiere einander töten, den Schluss ziehen, Gewalt unter Menschen zu rechtfertigen.
    Nichtsdestotrotz können wir nun die elementaren Rousseau’schen Prinzipien, Mitgefühl und Selbstliebe, auch naturwissenschaftlich nachvollziehen. Denn ohne die genetische Ausstattung des Mitfühlens wären wir vermutlich nicht in der Lage, soziale Gemeinschaften zu bilden und sozial zu handeln, was wir schon bei Aristoteles als wichtige Facette von Glück erkannten.
    Aber auch das zweite elementare Prinzip, die Selbstliebe als amour de soi , kann nicht nur als Selbsterhaltung im Sinne von Darwins »Kampf ums Dasein« interpretiert werden. Sondern die amour de soi ist auch die Selbst- oder Eigenliebe, die wir brauchen, um von einem gelungenen Leben sprechen zu können: Und genau darin könnte der Unterschied von Tier und Mensch bestehen. Abgesehen davon, dass Menschen freiwillig mitmenschliche Güte auf ihr Denken, Fühlen und Handeln anwenden können – auch ohne Gegenleistung, Belohnung oder Dank anderer. Aber was heißt das nun, sich selbst zu lieben: Egoismus?
    Ich liebe mich
    Wenn wir amour de soi im Wörterbuch nachschlagen, bekommen wir als Übersetzung Selbstliebe und Egoismus. Sowohl der Egoismus als auch die Selbstliebe werden gesellschaftlich eher negativ eingeschätzt: Es gilt zwar als eine Tugend, andere zu lieben, aber nicht sich selbst. Selbstliebe ist jedoch etwas anderes als Egoismus oder Selbstsucht. Der Egoist ist derjenige, der nur auf den eigenen Vorteil aus ist, sich rücksichtslos verhält, und wird zu Recht negativ bewertet.
    Der Psychoanalytiker Erich Fromm weist in seinem Buch Die Kunst des Liebens darauf hin, dass wir im Allgemeinen der Meinung sind, dass wir, wenn wir uns selbst lieben, automatisch andere Menschen oder Dinge nicht mehr lieben. Wenn ich jedoch andere Menschen liebe, muss ich dann nicht auch mich selbst lieben? Oder bin ich etwa kein Mensch? Denn es steht doch schon in der Bibel: »Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst.« Dann ist doch die Liebe zu meinem Selbst nichts anderes als die Liebe zu meinem Nächsten. Für Fromm ist es eine Voraussetzung, sich selbst zu lieben, sich selbst anzunehmen, um überhaupt in der Lage zu sein, andere Menschen beziehungsweise die Menschen überhaupt lieben zu können. Daraus folgert Fromm, dass das eigene Selbst ebenso sehr Objekt der Liebe sein muss wie der andere Mensch. Diese Liebe zu sich selbst ist damit eine Art Fürsorge, Achtung und Verantwortung für sich und das eigene Leben.
    Für sich selbst Sorge und Verantwortung zu tragen, heißt bei Rousseau, sich auf keinen Fall selbst etwas vorzumachen und sich selbst zu täuschen. Eine bestimmte Form der Selbsttäuschung ist auch die Selbstleugnung: Nicht selten kehren wir in Krisenzeiten allzu schnell in den Normalzustand zurück. Unterdrücken oder verleugnen wir unsere Gedanken oder

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