Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
Vom Netzwerk:
Grundlage von allem. Ab seinem fünfzigsten Lebensjahr beginnt er, autobiografisch zu schreiben. Es ist ihm wichtig, dass seine reine und liebende Seele vom Leser erkannt werden kann.
    Zeit seines Lebens wurden sowohl sein Werk als auch seine Person heftig kritisiert. In letzter Instanz beruft er sich deshalb auf die Geschichte seines eigenen Lebens. Diese, seine eigene Geschichte, ist seine innere Autorität, auf die er alles andere gründet. Jean-Jacques Rousseau war kein Mann der Kompromisse. Er war zu keiner Zeit bereit, seine Theorien und sein persönliches Schicksal zu trennen. Werk und Mensch sind nicht zu trennen: Deshalb ist für ihn auch Glück keine Sache des reinen Nachdenkens, sondern auch eine Sache des Fühlens. Glücklich sein heißt damit immer auch: sich glücklich fühlen! Und das am besten im Naturzustand.
    Wahrscheinlich hat er sich deshalb so intensiv mit dem natürlichen und, im Gegensatz dazu, dem kulturellen Menschen auseinandergesetzt. Der Reiz des Natürlichen im Menschen lag für Rousseau ohne Zweifel darin, ein authentisches, gefühlvolles und damit glückliches Dasein leben zu können, ohne sich verbiegen zu müssen. Wenden wir uns deshalb dem Rousseau’schen Naturmenschen zu.
    Naturmensch: Öko-Hippie oder Naturbursche?
    In den Jahren 1750 und 1755 verfasste Rousseau seine Schriften zur Kulturkritik. Der unstete Geist Jean-Jacques befand sich bis dahin meist auf Wanderschaft und lebte auf Kosten von Frauen, die ihn finanzierten. Auf dem Weg nach Vincennes zu dem Aufklärer Diderot las Rousseau in einer Pariser Zeitschrift folgende Preisfrage von der Akademie Dijon: »Hat der Wiederaufstieg der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen?« Rousseau zögerte keinen Augenblick, die Frage zu beantworten. Zum völligen Erstaunen der Preisrichter erklärte er, dass die Kultur und Gesellschaft den Menschen nicht besser, sondern im Gegenteil schlechter machten. Die Kulturkritik Über Kunst und Wissenschaft sorgte im Jahr 1750 für Aufsehen. Rousseau gewann den ersten Preis und wurde zum Star. 1755 verfasste er die zweite Kulturkritik Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen . Um nachvollziehen zu können, was zu dieser Ungleichheit unter den Menschen geführt hat, konstruierte Rousseau einen Naturzustand des primitiven Menschen. Denn nur, wenn ein ursprünglicher Zustand definiert wird, kann beobachtet werden, wie weit der kultivierte Mensch sich von diesem Naturmenschen entfernt hat. Rousseau war der Überzeugung, dass der Naturzustand des Menschen in Wirklichkeit nicht existiert und noch nie existiert hat.
    Der Philosoph stellte sich diesen Naturmenschen als individuellen Menschen vor: ein Mensch, der nicht in der Gemeinschaft, sondern ganz alleine mit sich und der Natur lebt. Er verfügt über keine Sprache und keine Kommunikation, weil er kein Verlangen danach hat. Dieser Naturbursche befindet sich im vollkommenen Gleichgewicht mit sich und seiner Umwelt. Seine Bedürfnisse wie Essen und Trinken werden von seiner natürlichen Umwelt erfüllt. Diese glücklich-mußevolle Einsamkeit und das damit verbundene Gleichgewicht von Natur und Mensch liegen für Rousseau vor jeglichem Werden: Die Zeit ist noch nicht in Fluss gekommen. Es gibt noch keine Geschichte. Alles ist still. Begehren, Bedürfnis und Welt befinden sich in harmonischer Übereinstimmung. Das Begehren überschreitet niemals das Bedürfnis, und dieses, das allein der Natur folgt, ist zu bald gestillt, als dass ein Mangel entstehen könnte. Völlig intuitiv und ohne Vernunft, jedoch ausgestattet mit zwei wichtigen Prinzipien: Selbstliebe und Mitgefühl. Das ist der Naturmensch!
    Zu diesem Naturmenschen gehören also natürliche Gefühle. Die Selbstliebe, amour de soi , ist für Rousseau ein Gefühl von natürlicher Veranlagung, ganz im Gegenteil zur amour propre , der Selbstsucht. Die Selbstliebe ist ein Gefühl der Menschlichkeit und Tugend. Die Selbstsucht dagegen ist für Rousseau ein künstliches Gefühl, das von der Gesellschaft gemacht wird. Sie verleitet Menschen dazu, sich selbst in den Vordergrund zu drängen, Ungleichheit zu provozieren, und ist damit das Übel der Menschheit überhaupt.
    Der Mensch im konstruierten Naturzustand ist ein Mensch, der in moralischer Hinsicht weder gut noch böse ist. Denn da dieser Mensch weder Verstand noch Vernunft besitzt, bewertet er weder sich selbst noch andere. Wichtig ist nur die einfache Selbstgewissheit, zu sein. Es gibt keine Zeit im

Weitere Kostenlose Bücher