Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
herkömmlichen Sinn, sondern nur einen Augenblick, der einem anderen Augenblick folgt. In seiner Schrift Über den Ursprung der Ungleichheit unter den Menschen schreibt Rousseau: »Wir lassen also von allen wissenschaftlichen Büchern ab, die uns Menschen nur als das Werk ihrer selbst sehen lehren und denken über die ersten und einfachsten Regungen der menschlichen Seele nach. Dabei glaube ich zwei Prinzipien zu bemerken, die vor dem Verstand da sind. Das eine macht uns leidenschaftlich um unser Wohlergehen und unsere eigene Erhaltung besorgt. Das andere flößt uns einen natürlichen Widerwillen dagegen ein, irgendein fühlendes Wesen, vor allem unseresgleichen, umkommen oder leiden sehen.« 21
Dass Rousseau ein Romantiker ist, ist nicht zu leugnen. Um die ursprüngliche Verfassung des Menschen darzustellen, wendet Rousseau sich selbst zu. Für ihn gibt es keinen Zweifel, dass er selbst ein »Mensch der Natur« oder zumindest ein Mensch ist, in dem die Erinnerung der Natur nicht ausgelöscht ist: eine vertrauensvolle Seele.
Rousseau will deshalb nicht als Großsprecher oder Sophist betrachtet werden. Seinen Worten sollen stets Taten folgen. Er möchte seine Wahrheit leben, ohne sich vom Urteil anderer Menschen beeinflussen zu lassen. Natur, Wahrheit, Freiheit und Tugend sind die Werte, nach denen er sein Leben ausrichten will, um ein guter Mensch zu sein. Mit diesen Werten versucht er nicht nur sein individuelles Dasein behaupten zu können, sondern diese Werte macht er zu universellen Werten. Werte, durch die Menschen zu guten und damit auch glücklichen Menschen werden sollen. Aber wie sieht das mit der Menschheit im Allgemeinen aus: gut oder böse?
Sind wir Gutmenschen oder doch eher Wölfe?
In der Philosophie, aber auch im alltäglichen Leben, hat sich schon immer die Frage gestellt, ob wir Menschen gut sein müssen, um glücklich zu sein. Verstehen wir Glück als rein subjektiv empfundene Lust, hat dieses individuelle Glück eher zufällig etwas mit Moral zu tun. Glück, im Sinne eines guten Lebens, hat aber ohne Zweifel etwas mit Tugenden und damit mit Moral zu tun. Deshalb hat es Philosophen schon immer interessiert, ob der Mensch von Natur aus gut oder böse ist.
Homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf: Das ist ein Zitat des römischen Komödiendichters Titus Maccius Plautus, das durch den englischen Staatstheoretiker und Philosophen Thomas Hobbes bekannt wurde. Im Gegensatz zu Rousseau war Hobbes der Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus grausam, habgierig und egoistisch ist, wenn er mit anderen Menschen zusammenlebt.
Bei Rousseau ist der Naturmensch weder gut noch böse, aber auf jeden Fall nicht sozial. Dieser erste Mensch lebt nämlich nicht in der Gemeinschaft, sondern in der Einsamkeit. Im Jahr 1859 erscheint jedoch ein ganz und gar außergewöhnliches Buch, das diese Theorie in ihren Grundfesten erschüttert: Nie zuvor hatte ein Schriftsteller einen wissenschaftlichen Durchbruch von solcher Tragweite präsentiert. Er setzte Wissenschaft gegen Kirche, Naturgesetz gegen Wunder und entzauberte damit den Menschen als Krönung der Schöpfung: Charles Darwin, Autor von Entstehung der Arten . Der Naturforscher hatte zwar nie die Absicht, durch seine Arbeiten Gott zu verleugnen, trotzdem hat sich seine wissenschaftliche Erkenntnis gegen das religiöse Dogma gewandt. Mit seiner Theorie zieht Darwin die Menschheit in die Niederungen der brutalen Natur. Denn das, was für andere Lebewesen gilt, gilt auch für die Menschen. Darwins Zeitgenossen stürzen sich von Anfang an vor allem auf eine seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse. Das, was lediglich zwischen den Zeilen steht, wird aufs Heftigste diskutiert: »Der Mensch stammt vom Affen ab.«
Diesen Stein bringt jedoch nicht Darwin, sondern Thomas Henry Huxley ins Rollen. Huxley prägte den Begriff des Darwinismus und verkündete lautstark, dass die Natur nicht gut sei, sondern im Gegenteil grausam. Und auch die Menschheit verdankt ihre eigene Existenz nicht einer klugen Eminenz, sondern stammt im Sinne von »Kampf ums Dasein« vom Affen ab. Deshalb ist der Mensch seiner Natur nach nicht gut, sondern böse, im Sinne seines tierischen Erbes. Für Huxley war der Mensch von Natur aus böse, und die Zivilisation hatte die Aufgabe, ihn in Bann zu halten – ähnlich wie bei Hobbes.
Im Gegensatz zu Huxley können wir heute Darwin jedoch auch ganz anders interpretieren. Der Mensch ist zwar auf dem Weg der Auslese aus der Tierwelt
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