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Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen

Titel: Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Schilling-Frey
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nicht in unbedingter Offenheit. Es geht mehr um reflektierte innere Überzeugungen und Werte, angewandt auf die unterschiedlichsten Situationen. Es gibt damit ein Fundament an Werten, das in den verschiedenen Rollen eines Menschen zu erkennen ist.
    Wir wollen nicht fremdgesteuert und unter Zwängen leben, und wir wollen uns auch nicht hinter einer Maske verstecken müssen. Vor allem brauchen wir Menschen ein Fundament, etwas, auf das wir uns verlassen können. Gerade weil wir in Gesellschaften leben, in denen vieles widersprüchlich und mehrdeutig ist, in denen Ungewissheiten auf der Tagesordnung stehen, brauchen wir Menschen und Dinge, denen wir vertrauen können. Die uns sicher sind. Freunde, Familie, Vereine, Gemeinschaften schaffen wir uns, um in diese Welt Verlässlichkeit und Sicherheit zu bringen. Auch dann, wenn die ganze Welt auf Wachstum, Dynamik, Virtualität und Medialität setzt, baue ich mir meine kleine heile Welt, in der ich mir Sicherheit verschaffe: Heimat.
    Aber nicht erst heute, sondern auch schon früher, in Zeiten Rousseaus, steckte hinter seinem Plädoyer für Authentizität der Wunsch nach Sicherheit. In seinen Schriften zur Kulturkritik, in Über Kunst und Wissenschaft , schreibt Rousseau: »Wie angenehm lebte es sich unter uns, wenn die äußere Haltung stets das Abbild der Herzensneigung wäre, wenn Anstand schon Tugend wäre, wenn unsere Maximen unser Verhalten regelten, wenn die wahrhafte Philosophie vom Titel Philosoph unzertrennlich wäre.« 27
    In den »Goldenen Zeiten« konnten die Menschen mühelos durchschauen, was voneinander zu halten ist. Der »gleichausschauende und scheinheilige Schleier der Höflichkeit« der neueren Zeit ist in den Augen Rousseaus eine Verfälschung des Charakters. Durch Höflichkeit kann der Mensch sich tarnen. Sein Inneres ist nicht mehr zu erkennen. Weder auf Welt, noch auf Mensch ist mehr Verlass. Unter diesen Unsicherheiten leidet die ganze Menschheit.
    Wir alle wollen Sicherheit, gleichzeitig wollen wir aber auch frei sein. Beides zu wollen, scheint schwierig zu sein. Denn sind Sicherheit und Freiheit nicht zwei Gegensätze, die sich ausschließen? Ein »Entweder-oder«? Mir scheint jedoch, dass wir beides nicht nur wollen, sondern auch brauchen. Und damit besteht die Kunst des Lebens auch darin, die beiden Pole von Sicherheit und Freiheit in Einklang zu bringen.
    Ein erster Schritt, um beides zu vereinen, besteht darin, dass wir für uns akzeptieren, beides zu brauchen. Trotzdem gibt es Menschen, die mehr Sicherheit und weniger Freiheit brauchen, und umgekehrt. Lehnen wir uns zurück, schließen wir die Augen und versuchen wir, uns unsere Lebensgeschichte und unsere bisher gemachten Erfahrungen anzuschauen. Stellen wir uns dabei folgende Fragen: »Haben wir uns schon immer gerne in unserem vertrauten Umfeld bewegt?« – »Füllen hauptsächlich Routinen unseren Tag?« – »Haben Umstellungen uns schon immer Probleme bereitet?« Dann sind wir wahrscheinlich mehr sicherheits- als freiheitsliebend. Im umgekehrten Fall, wenn wir vielleicht immer auf der Suche nach Neuem sind, uns recht schnell langweilen und wir oft Aktivitäten mittendrin abgebrochen haben, sind wir eher freiheits- als sicherheitsliebend.
    Um unsere Mitte zu finden, sollten die eher sicherheitsliebenden Menschen sich trauen, mehr neue Herausforderungen anzunehmen und sich nicht gegen jegliche Neuanfänge zu wehren. Geht es uns hauptsächlich um unsere Freiheit, sollten wir uns verstärkt auch darum bemühen, Aufgaben zu Ende zu führen und nicht gleich aufzugeben, wenn die ersten Probleme auftauchen.
    In Rousseaus zweitem Stadium der Geschichte sind wir auf dem Weg, etwas hinzuzugewinnen: den Verstand. Gleichzeitig laufen wir aber auch Gefahr, etwas zu verlieren: Selbstliebe und Mitgefühl. Der Verstand hilft uns, uns selbst autonom zu gestalten: Wir gewinnen an Freiheit. Gleichzeitig verlieren wir, durch den Verlust von Selbstliebe und Mitgefühl, die vollkommene Eingebundenheit in die Natur: die Sicherheit. Eine zweite Natur und damit das vollkommene Glück haben wir dann gefunden, wenn wir von der Vernunft aufgeklärt und vom moralischen Empfinden getragen werden. Um diesen Balanceakt zwischen Freiheit und Sicherheit leben zu können, müssen wir uns immer wieder die Frage stellen, wer wir sind.
    Diese Frage der Selbsterkenntnis ist nicht leicht zu beantworten. In der Philosophie ist sie eine der ältesten Fragestellungen überhaupt. Wagen wir einen Versuch.
    Wer bin ich?
    Wer bin

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