Ans Glueck koennte ich mich gewoehnen
braucht Wärme. Man liebt noch den Nachbarn und reibt sich an ihm: Denn man braucht Wärme. … Ein wenig Gift ab und zu: Das macht angenehme Träume. Und viel Gift zuletzt, zu einem angenehmen Sterben. Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, dass die Unterhaltung nicht angreife. Man wird nicht mehr arm und reich: Beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich. Kein Hirt und eine Herde! Jeder will das Gleiche, jeder ist gleich: Wer anders fühlt, geht freiwillig ins Irrenhaus.« 37
Das sind harte Worte. Doch wie steht es heute um den Mut? Sind wir die »letzten Menschen« oder Übermenschen? Ist es uns zu beschwerlich, mutig zu sein?
Couragiert handeln
Zürcher Motivationspsychologen haben erforscht, dass die meisten Menschen wegschauen, wenn jemand angepöbelt oder gar verprügelt wird.
Denn stellen Sie sich vor, auf einmal sind sie da. Es sind zwei Schlägertypen mit Bomberjacken und Springerstiefel, die sich breitbeinig vor einen dunkelhäutigen Fahrgast stellen. »Niggerschwein«, tönt es lauthals durch die U-Bahn. Ihre großen Stiefel drücken sie dem dunkelhäutigen Fahrgast ins Gesicht. Die anderen Fahrgäste schauen verlegen weg oder suchen das Weite.
Was würden Sie tun? Könnten Sie sich vorstellen, zu helfen? Niemand hat bei dieser Fahrt in der U-Bahn die Courage, einzugreifen. Aber das ist nichts Besonderes. Nur jede dritte Person, die einen fremdenfeindlichen Übergriff beobachtet, greift ein – so die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage aus dem Jahr 2002. In etwa gleich verhält es sich, wenn es um häusliche Gewalt, Mobbing am Arbeitsplatz oder Übergriffe auf Behinderte geht. Meist schweigen die Zuschauer eines solchen Gewaltverbrechens. Aber gerade dieses Schweigen ist es oft, das den Tätern die stillschweigende Rechtfertigung liefert.
Die spannende Frage ist jetzt: Warum schauen Menschen weg? Prof. Veronika Brandstätter vom Psychologischen Institut der Universität Zürich und ihr Team erforschten die Gründe, warum Menschen in solchen Situationen einfach wegschauen: Sie wollen sich nicht in die Privatsphäre anderer Menschen einmischen. Außerdem wissen sie nicht, was sie tun können. Es ist ihnen unangenehm, sich in den Vordergrund zu stellen, oder sie sind zu aufgeregt und nervös, um überhaupt handeln zu können.
Zivilcourage ist hier gefragt. Bei der Zivilcourage als sozialem Mut treten wir öffentlich für die Wahrung zivilgesellschaftlicher und demokratischer Grundrechte ein. Hier geht es nicht darum, etwas für einen wohltätigen Verein zu spenden, sondern wir müssen aktiv vorgehen. Dafür brauchen wir Mut. Denn jegliches Einschreiten in solchen Situationen bringt ein gewisses Risiko mit sich.
Ein weiteres, sehr wichtiges Forschungsergebnis zeigt, dass auch hier Übung eine zentrale Rolle spielt. 38 Haben wir nämlich schon öfter in solchen Situationen eingegriffen und diese kompetent bewältigt, ist es wahrscheinlicher, dass mit der Zunahme des Selbstvertrauens auch die Handlungsentschlossenheit und vor allem Handlungsroutine zunehmen. Hier geht es nicht darum, Angstgefühle wegzutrainieren, sondern darum, Verhaltensweisen zu entwickeln, die trotz unserer Angst ausgeführt werden können.
Damit ist, wie so vieles, auch Zivilcourage lernbar. So gibt es beispielsweise ein Züricher Zivilcourage-Training, das vor allem auf relevantem Wissen und dem Aufbau von Handlungskompetenz beruht. Dabei werden die aktuellen Resultate der psychologischen Forschung präsentiert und im Gespräch mit den Erfahrungen der Teilnehmer verknüpft. In Rollenspielen erleben Teilnehmer typische Situationen, in denen sie nicht zivilcouragiert gehandelt haben. Gewaltsituationen werden nicht nachgespielt, sondern die Teilnehmer stellen sich hier entsprechende gewaltvolle Situationen vor. Dann geht es vor allem darum, praktikable, individuelle Handlungspläne zu erarbeiten. Nach dem Training gaben 62 Prozent an, in realen Situationen zivilcouragiert gehandelt zu haben. In der Kontrollgruppe ohne Training waren es nur 40 Prozent.
Aber oftmals sind es in unserem alltäglichen Leben nicht nur diese besonderen Situationen, die Mut erfordern. Es fängt schon damit an, dass wir Anrufer nicht abwimmeln können, weil wir uns nicht trauen, ihnen zu sagen, dass wir wirklich keinen neuen Handyvertrag brauchen. Oder wir stehen am Eincheckschalter einer Fluggesellschaft in der Warteschlange. Plötzlich macht die Airline noch einen
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