Anschlag auf den Silberpfeil
die Darmentzündung
hervorrufen) in jedem Frühstück. Denn mit dem Typ, zum Teufel, war das
Unglück über Otto hereingebrochen.
Jetzt steckte er in einer dummen Lage.
Onkel Franz, der Halunke, hatte ihm — wie
immer, wenn er ihn brauchte — das Geld für die Bahnreise geschickt. Mehr noch,
nämlich 500 Mäuse. Vorige Woche war das gewesen. Aber ihm, dem Otto Nitschl,
floß das Geld in den Kneipen, wo er sich allabendlich mit Bier vollaufen ließ,
durch die Finger wie Wasser. Peinlich, peinlich — jetzt einzugestehen, daß er
alles vertrunken hatte und deshalb die Sache mit dem Fahrausweis abzog.
Andererseits: Mußte er das sagen?
Gestehen ist Silber, dachte er,
verschweigen ist Gold.
Im übrigen hatten sie sich nichts
vorzuwerfen.
Franz Hauke, Tabakwarenladen-Inhaber im
hiesigen Hbf, war ein Wolf im Schafspelz, nämlich Hehler. Er kaufte Diebesgut
an, sogenannte Sore, und verscherbelte sie weiter — mit sattem Gewinn. Und
steuerfrei, selbstverständlich.
Einer seiner Geschäftspartner wohnte
dort, wo Neffe Otto zu Hause war. Otto oblag es, den Kurier ( Überbringer )
zu spielen. Was sicherer und schneller war, als Pakete mit der Post zu schicken.
Diesmal sollte er drei Dutzend
kostbarer Uhren abholen. Sie stammten aus dem Einbruch in ein hiesiges
Uhrenfachgeschäft, und die Polizei hatte bislang weder Hinweise noch eine Spur.
Meine Hinterkopfbeule, dachte Otto, ist
vom Triebwagen-Unglück. Einfache Kiste. Na, also!
Er stiefelte los, ab in die Halle, wo
Mordsbetrieb war mit entsprechendem Radau.
Eine Gruppe jugendlicher Franzosen
hatte ihre Tramper-Rucksäcke zusammengestellt und sich niedergelassen zwischen
Gepäckabfertigung und Wartesaal. Die gallischen Freunde zogen sich ihr
Abendmenü rein; Weißbrot und Käse.
Böse sah Nitschl sie an. Er haßte
sämtliche Ausländer — die meisten Menschen überhaupt. Und er sorgte dafür, daß
sie es merkten.
Er sockte an Handgepäck-Aufbewahrung
und Bahnhofs-Buchhandlung vorbei zum Seitentrakt, wo in langer Ladenstraße die
Geschäfte sich aneinanderreihten.
Hier im Hbf galten andere
Öffnungszeiten.
Aber als Otto gegen Haukes Ladentür
drückte, rührte sich nichts. Verschlossen.
Im Laden brannte Licht. Er hämmerte an
die Scheibe.
Ein Mann schob den Kopf aus dem
Hinterzimmer, wo es ebenfalls hell war, blickte zur Ladentür und musterte Otto.
„Heh, Sie!“ rief Otto. „Sagen Sie
meinem Onkel, daß ich da bin. Ich bin Otto!“
Der Mann nickte, sprach über die
Schulter ins Hinterzimmer.
Otto kannte ihn nicht. Aber das hieß
nichts. Franz Hauke ließ sich ein mit diesem und jenem, pflegte Umgang mit
aller Welt — meistens natürlich mit schrägen Vögeln.
Auch der hier sah so aus: Ein Typ mit
schwarzen Pomade-Locken, Aufreißer-Gesicht und Lippenbärtchen. Er trug ein rosé-farbenes
Hemd und auf der Brust irgendwas Goldenes am Kettchen.
Jetzt kam er zur Tür und ließ Otto ein.
„Otto Nitschl, ja? Freut mich, Otto!
Ich bin Angelo Copparo. Nenn mich Angelo!“
Ein Itaker also, dachte Otto. Er gab
ihm die Hand.
Otto legte alle Kraft in seinen
Händedruck — nur um diesem Turniertänzer-Schönling zu zeigen, was deutsche
Kraft ist. Aber Angelo hatte eine Flosse wie Stahl und quetschte ordentlich
dagegen.
„Ist mein Onkel nicht da?“
„Doch. Hinten.“
Franz Hauke saß an seinem Schreibtisch,
hatte sich eine große Serviette um den Hals gebunden und aß. Auf seinem Teller
dampfte ein gewaltiger Braten. Sicherlich eine Lieferung des Grillrestaurants
gegenüber.
„Wo hast du dich rumgetrieben, Otto? Du
kommst spät.“
„’n Abend, Onkel Franz. Iß erstmal auf,
sonst bleibt dir der Hammel im Hals stecken, wenn ich erzähle.“
„Das ist Rinderfilet.“
„Laß dir’s schmecken.“
„Hast du gegessen? Ich lasse noch was
rüberkommen. Ja?“
„Nein, nein! Ich habe keinen Appetit.
Ich bin ein bißchen wacklig — rund um die Kniescheiben.“
Hauke seufzte. „Angelo fastet. Du ißt
nichts. Ich merke schon, was ihr im Schilde führt, ihr Ganoven. Mein schlechtes
Gewissen soll mich martern. Aber da habt ihr euch geschnitten.“
Er griff zu seinem Bierseidel und nahm
einen Zehn-Sekunden-Schluck.
Angelo lachte. „Ich faste nicht, Franz.
Ich kann essen soviel ich will, ich nehme nicht zu.“
Von Hauke ließ sich das nicht
behaupten. Unter seinem Seidenhemd hoben sich die Fettwülste ab, und der Hals
war fast so dick wie der Kopf. Daß seine Froschaugen hervorquollen,
vervollständigte den Eindruck: Er sah aus wie ein Mops. Wie ein
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