Anschlag auf den Silberpfeil
wem er sich
anschließen sollte. Gaby half ihm mit sanftem Zug an der Leine. Also stieß er
die Nase auf den Boden und schnupperte sich den Rinnstein entlang, gefolgt von
den dreien.
An der Haustür drückte Glockner den
Lichtknopf, dann auf die Klingel. Es gab nur ein Namensschild. Offenbar wohnte
Gertrud Rawitzky allein.
„Und wenn Sie uns nicht reinläßt“,
sagte Tim, „können wir nichts machen, nicht wahr?“
„Nichts. Nur wenn ich einen Haft- oder
Durchsuchungsbefehl habe, kann ich den Zutritt erzwingen. Aber diese Dokumente
stellt der zuständige Richter erst dann aus, wenn erheblicher Verdacht
vorliegt. Das verhindert Willkür. Die darf es in einem Rechtsstaat wie unserem
nicht geben.“
Die Tür wurde geöffnet, spaltweit.
Die Sicherheitskette spannte sich.
Mit einem Auge spähte Gertrud Rawitzky
heraus. Ihr dunkles Haar floß über die Schulter. Die Diele war erleuchtet.
„Ja?“ fragte sie.
„Frau Rawitzky?“ Glockner hielt seine
Dienstmarke in den Türspalt. „Kriminalpolizei. Ich bin Kommissar Glockner.
Wegen des Zugunglücks von vorhin habe ich ein paar Fragen an Sie. Sicherlich
erkennen Sie Peter Carsten. Mit ihm haben Sie in der Scheune gesprochen.“
Stille.
„Du meine Güte!“ ächzte die Frau dann. „Das
hat mir noch gefehlt. Heiliger Feierabend! Der Ben... der Junge ist ja
hartnäckig wie Fußpilz. Warten Sie, ich mache auf.“
Sie schloß die Tür, hakte die Kette ab,
öffnete abermals.
Die Diele sah aus wie ein Fotokabinett.
Jeder Quadratzentimeter der Wände war beklebt.
Sie trug nicht mehr ihre
Motiv-Suche-Outfit (Outfit = Ausstattung), wie Tim feststellte,
sondern einen gelben Hausanzug aus Frottee-Stoff. Keine Schuhe, keine Strümpfe.
Die Fußnägel waren grellrot lackiert.
Tim hatte einen vernichtenden
Dolchblick erwartet. Aber sie lächelte ihn an, als ergebe sie sich.
„Bitte, machen Sie keine heftigen
Bewegungen“, sagte sie, „und schreien Sie mich nicht an. Sonst dreht Goliath
durch. Mein Tiger beschützt mich nämlich. Er ist gefährlicher als ein Wachhund.
Er geht auf jeden los, der mir was will.“
„Ihr Tiger?“ fragte Glockner verdutzt. „Halten
Sie sich hier einen Tiger?“
„Eine Tigerkatze. Einen Kater. Er ist
so groß wie zwei.“
„Ein Glück, daß wir Oskar nicht
mithaben“, lachte Tim. „Sonst wäre das Gemetzel im Gange. Das heißt, Oskar ist
mehr Angsthase als Cockerspaniel und würde die Flucht ergreifen.“ Damit war das
Eis gebrochen. Alle lachten. Gertrud hickste sogar, und in ihren Parfumduft
mischte sich ein bißchen Weingeruch.
Durch ihr Atelier führte sie die beiden
in den Wohnraum, wo Goliath auf der Couch stand. Er äugte sie an, als wäre er
der Herrscher des Dschungels und krümmte den Rücken. Er hatte Phosphorlichter
in den Augen, der buschige Schwanz zuckte hin und her.
„Also, anschreien werden wir Sie nicht“,
sagte Glockner, „und wir unterlassen auch jede Drohgebärde und Zappelei. Das
ist ja ein mächtiger Bursche. Legen Sie ihn an die Kette, wenn Kunden kommen?“
„Dann wird er eingesperrt. Es sei denn,
er stromert gerade. Im Freien geht er nur auf Hunde los — und auf andere Kater.
So, Goliath, nun leg dich wieder hin und leck dir die Pfoten.“
Aber ihm fiel was anderes ein. Er
sprang auf den Boden und tigerte in die Küche. Gertrud schloß die Tür hinter
ihm.
„Vorhin bin ich nur knapp davongekommen“,
sagte sie. „Der junge Mann“, sie deutete auf Tim, „hätte mir beinahe
Handschellen angelegt und mich ins Präsidium geschleppt. Hältst du mich immer
noch für verdächtig, Peter?“
„Nicht, was den Anschlag betrifft.“ Er
grinste. „Aber ins Gesamtbild passen Sie nicht. Irgendwas ist da schief. Es sei
denn, Sie sind ein Musterbeispiel für unterlassene Hilfeleistung. Ich hatte
nämlich durchaus nicht den Eindruck, daß Sie zum Unfallort eilen und helfen
wollten.“
„Dein Eindruck täuscht.“ Sie sah den
Kommissar an. „Und was wollen Sie von mir wissen?“
Er stellte einige Routinefragen. Aber
sie wiederholte nur, daß sie nichts Verdächtiges bemerkt habe.
„Der Hauptgrund, weshalb wir hier sind“,
sagte er dann, „sind Ihre Fotos, Frau Rawitzky. Wie Sie Tim erklärten, haben
Sie den Unfall fotografiert. Von der Feldscheune aus. Ich nehme nicht an, daß
Ihre Bilder nur engbegrenzte Ausschnitte festhalten. Bestimmt ist auch die
Umgebung zu sehen. Also kann allerhand drauf sein. Vielleicht erleben wir ein
Wunder. Sowas hat’s schon gegeben. Ich möchte die Fotos sehen. Sind
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