Anschlag auf den Silberpfeil
sie entwickelt?“
Sie sah ihn an, dann Tim.
Ihr Blick silberte etwas — wie Tim
hauchzartes Schielen nennt, den sogenannten Silberblick.
Kam das vom Wein? Oder verkürzte sie
die Brennweite, um innere Unsicherheit zu verbergen?
Nach kurzem Zögern nickte sie.
„Sie entstehen gerade, sind fast
fertig. Könnten jetzt fertig sein.“ Sie sah auf ihre zierliche Armbanduhr. „Morgen
früh will ich die Fotos zur Zeitung bringen. Was im einzelnen drauf ist — also,
so genau habe ich sie noch nicht angesehen. Augenblick! Ich hole sie. In meine
Dunkelkammer kann ich Sie leider nicht mitnehmen.“
Auf nackten Sohlen eilte sie hinaus.
Glockner kniff ein Auge zu.
„Muß dir zustimmen, Tim. Aus der Dame
wird man nicht klug. Ich glaube, sie ist ziemlich gewieft. Aber sie sieht nicht
aus wie jemand, in dessen Auftrag Triebwagen entgleisen.“
Tim reckte den Hals.
Auf dem Telefontischchen stand der
Apparat, lagen das Teilnehmerverzeichnis — der dickleibige Wälzer — und ein
Notizblock. Eine Nummer war hingekritzelt.
Sie kam ihm bekannt vor. Dann wußte er’s.
Unter 01191 erfährt man die genaue Zeit.
„Hoffentlich“, sagte der Kommissar, „weiß
Goliath nicht, wie man die Tür aufmacht.“
Tim lachte. Wenig später kam Gertrud
zurück.
„Ganz frische Ware“, meinte sie und
breitete die Fotos auf dem Tisch aus.
Es waren elf insgesamt. Sie hielten
fest, was sich während der ersten Minuten nach dem Unglück am Tunneleingang
abgespielt hatte.
Tim fand Christine Pfab, Barbara
Schnabel und sich selbst. Die Bilder waren mit Teleobjektiv gemacht, gestochen
scharf und dramatisch. Aber den Teufelsberg ahnte man nur — ebenso wie die
übrige Landschaft.
Glockners Miene verriet Enttäuschung.
„Unsere Idee war richtig. Aber ich
glaube nicht, daß sich hier irgendwo ein Hinweis versteckt.“
„Dachten Sie, ich hätte zufällig den
Täter erwischt?“
„Den oder die Täter. Ja.“
Abermals sah er die Fotos durch — mit
demselben Ergebnis.
„Nein, nichts. Das war’s dann. Vielen
Dank, Frau Rawitzky. Und entschuldigen Sie die Störung.“
Sie nickte. „Ich glaube, ich fahre noch
schnell beim Pressehaus vorbei und gebe die Fotos ab. Es ist immer besser, der
erste zu sein. Wenn ich Glück habe, erscheinen sie in der Mittagsausgabe.“
Mittags erschien die Boulevardzeitung —
ein Blatt für Sensationen und seichte Klatschgeschichten.
Sie raffte die Fotos zusammen.
Tim und der Kommissar verabschiedeten
sich.
12. Der Typ im Dunkeln
Oskar zog. Gaby ging schneller, damit
er sich den Hals nicht einschnürte. Karl hielt neben ihr Schritt und schlug
nach den Mücken, die vor seiner Nickelbrille tanzten.
Die Mai-Nacht war schwül geworden. Es
roch nach Gewitter.
„Statt hier herumzutapern“, maulte
Klößchen, der hinter ihnen kam, „könnten wir jetzt bei deiner Mutter am Tisch
sitzen, Pfote. Ich frage mich wirklich, was wir hier sollen.“
„Du siehst doch, daß es Oskar gefällt.
Eine andere Straße — andere Gerüche. Hier war er noch nie. Wahrscheinlich gibt
es hier massenhaft Hunde, und jeder Stein riecht nach ihnen.“
Sie waren nicht weit gegangen und kamen
jetzt an einer überdachten Einfahrt vorbei. Grundstück und Haus hüllten sich in
Dunkelheit.
Oskar hielt sein Riechorgan in die
Einfahrt und begann leise zu grollen.
Gaby äugte in die Finsternis. Eine
Katze? Ein anderer Hund? Sie blies gegen ihre Ponyfransen — aus reiner
Gewohnheit, denn die Sicht besserte sich nicht.
Klößchen, der Tolpatsch, hatte Oskars
Knurren überhört.
„Entschuldigt mich mal eine Minute“,
meinte er — und trottete in die Finsternis: aus einem Grund, der nur ihn was
anging.
„Mensch, bleib hier!“ zischelte Karl. „Wenn
da eine Bestie ist, nimmt sie’s dir übel.“
„Was?“ fragte Klößchen.
Dann klirrte Metall, und er jaulte auf.
Scheppernd fiel ein größerer Gegenstand zu Boden.
„Au, mein Schienbein!“ jammerte
Klößchen. „Wer hat denn hier sein Motorrad in den Weg gestellt? Ach, es ist nur
ein Moped. Das kann ich...“
Er sprach nicht weiter.
Rückwärts gehend, kam er aus der
Dunkelheit. Er hinkte links, aber das war nicht der Grund für den Krebsgang.
„Leute“, flüsterte er. „Da steht
jemand. Bin fast gegen ihn gerannt. Ich glaube, es handelt sich um eine
Einzelperson, jedenfalls nicht um eine Gruppe.“
„Na und?“ meinte Karl. „Der erledigt
das, was du vorhattest. Frag ihn, ob sein Moped kaputt ist.“
„Heh, Sie!“ rief Klößchen. „Ist
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