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Anschlag auf den Silberpfeil

Anschlag auf den Silberpfeil

Titel: Anschlag auf den Silberpfeil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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auf.
    Gertrud starrte auf den Hörer in ihrer
Hand und wußte nicht, ob sie das große Los gezogen oder großen Blödsinn gemacht
hatte.

11. Kleiner Tiger Goliath
    Erich Jesper, der 16jährige, strich
sich sein weizenblondes Haar aus der Stirn. Es war feucht. Angstschweiß.
    Er saß im sogenannten grünen Salon,
einem von 14 Zimmern in der weitläufigen Villa. Seine Eltern waren nicht zu
Hause, sie besuchten Freunde zum Abendessen.
    Sich am Telefon für einen anderen
auszugeben, gehörte zu seinen harmlosen Streichen. Er konnte Stimmen nachahmen.
Manchmal spielte er die Köchin, manchmal die Zugehfrau. Seine Mutter zu
imitieren ( nachahmen ), fiel ihm schwer. Sie hatte ein außergewöhnliches
Organ — einen Koloratursopran (i Stimmlage beim Gesang ) von gutem Sitz — wie
ihr Gesangslehrer zu sagen pflegte. Gab Erich sich am Telefon für sie aus, ging
das meistens schief. Um so echter klang es, wenn er seinen Vater spielte. Ihre
Stimmen ähnelten sich von Natur aus — obwohl 39 Lebensjahre dazwischen lagen.
    „Sch... ande!“ sagte er laut in die
Stille. „Das war nicht vorgesehen.“
    Bis eben war die Sache ein tolles
Erlebnis gewesen. Aus seinem Versteck oben am Teufelsberg hatte er alles
beobachtet. Den Crash (Krach), die Aufregung der Reisenden, das
Durcheinander, die Kopflosigkeit. Am liebsten hätte er sich unter die Leute
gemischt, um Meinungen zu hören. Ein Mädchen schien erheblich verletzt zu sein.
Wer das war, konnte er aus seiner Vogelschau nicht erkennen. Immerhin bewegte
sie sich — und er wünschte ihr sehr, daß sie nicht ernsthaft gelitten hatte.
Verwundert beobachtete er dann, wie ein Typ, der ihm bekannt vorkam, übers Feld
zu der Scheune rannte.
    Erst am locker-leichten Blitzsprint
hatte er schließlich gecheckt, wer das war: dieser Tim, den sie früher Tarzan
genannt hatten, aus der 9 b — aus derselben Schule, die auch er, Erich, als
Externer (Tagesschüler) besuchte. Allerdings war er zwei Klassen weiter,
nämlich planmäßig in der 11 a.
    Dieser Tim und seine TKKG-Bande... Da
war es besser, eine Fliege zu machen. Weil man dem Typ zutrauen mußte, daß er
sofort die Gegend absuchte: übereifrig — mit entnervender Aktivität.
    Erich hatte sein Moped geschnappt und
sich — immer in Deckung — über den Gipfel des Teufelsbergs auf die andere Seite
verzogen, wo er dann ungesehen und auf Umwegen zur Stadt zurück fuhr.
    Und jetzt das!
    Während des Gesprächs hatte Gertrud
Rawitzky bestimmt nicht gemerkt, daß sie nicht mit seinem Vater sprach, sondern
mit Erich, dem Filius. Aber seine Aufregung war mit jedem Wort gewachsen, so
daß er schließlich abbrechen mußte.
    Gut so! Er hatte Zeit gewonnen. Und
erkannt hatte er die Anruferin sowieso. Behinderter Kräutersammler mit Familie!
Von wegen! Diese Fotografin war’s, diese Gertrud Rawitzky. Eine Hyäne ist das!
Aber wo, zum Henker, hatte die gesteckt? Er hatte doch aufgepaßt wie ein
Schwerverbrecher und sich immer wieder umgeguckt? War die bäuchlings durch
Ackerfurchen gerobbt?
    Egal! Sie hatte ihn beobachtet — und
fotografiert. Sie besaß die Beweise und würde den Papa zur Kasse bitten.
    „Aber daraus wird nichts“, murmelte er.
„Weil ich heute nacht bei dir einbreche, Gertrud. Wenn’s sein muß, betäube ich
dich. Und dann stelle ich deine Bude auf den Kopf. Bis ich die Fotos habe. Die
Fotos und die Negative. Dann kannst du sonstwas behaupten, falls du dich
getraust. Kein Mensch wird dir glauben.“

     
    *
     
    Glockner fuhr langsam. Die
Professor-Rutzl-Straße war dunkel und unbelebt. Sie kamen an einem Wohnblock
vorbei. Dann folgten freistehende Häuser mit kleinen Gärten.
    Vor Nr. 17 stand eine Straßenlaterne.
Irgendwas war defekt. Ihr Licht flackerte.
    FOTO-ATELIER RAWITZKY verkündete ein
Schild. Durch bunte Vorhänge hinter den Parterre-Fenstern tröpfelte Licht in
den Garten. Der Kommissar hielt und schaltete den Motor aus.
    „Ihr wartet also“, sagte er. „Dich,
Tim, nehme ich als Zeugen mit.“
    Oskar wurde munter, machte Männchen am
Armaturenbrett und knurrte die flackernde Laterne an.
    „Wir gehen mit ihm gassi“, sagte Gaby. „Nur
die Straße entlang. Immer in Sichtnähe. Außerdem sind wir ja zu dritt, und
Oskar verteidigt uns.“
    Die Rawitzky wird mich verfluchen,
dachte Tim. Aber sie weiß ja, daß ich sie verdächtige. Tue ich ihr unrecht?
Vielleicht hilft sie uns unabsichtlich mit ihren Fotos.
    Als die Gruppen sich trennten, war
Oskar verwirrt. Er legte den Kopf schief, winselte und wußte nicht,

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