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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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und ich sagte ja, nicht einmal im Internat hätten sie es fertig gebracht, mich zum regelmäßigen Waschen am frühen Morgen zu erziehen.
    »Aber was machst du denn?« fragte sie, »irgendwie mußt du dich doch frisch
    machen?«
    »Ich reibe mich immer mit Kölnisch Wasser ab«, sagte ich.
    »Das ist ziemlich teuer«, sagte sie und wurde sofort rot.
    »Ja«, sagte ich, »aber ich bekomme es immer geschenkt, eine große Flasche, von einem Onkel, der Generalvertreter für das Zeug ist.« Ich sah mich vor Verlegenheit in der Küche um, die ich so gut kannte: sie war klein und dunkel, nur eine Art
    Hinterzimmer zum Laden; in der Ecke der kleine Herd, in dem Marie die Briketts bei Glut gehalten hatte, auf die Weise wie alle Hausfrauen es tun: sie wickelt sie abends in nasses Zeitungspapier, stochert morgens die Glut hoch und entfacht mit Holz und frischen Briketts das Feuer. Ich hasse diesen Geruch von Brikettasche, der morgens in den Straßen hängt und an diesem Morgen in der muffigen kleinen Küche hing. Es war so eng, daß Marie jedesmal, wenn sie den Kaffeetopf vom Herd nahm, aufstehen und den Stuhl wegschieben mußte, und wahrscheinlich hatten ihre Großmutter und ihre Mutter es genau so machen müssen. An diesem Morgen kam mir die Küche, die ich so gut kannte, zum ersten Mal alltäglich vor. Vielleicht erlebte ich zum ersten Mal, was Alltag ist: Dinge tun müssen, bei denen nicht mehr die Lust dazu entscheidet. Ich hatte keine Lust, dieses enge Haus je wieder zu verlassen und draußen irgendwelche Pflichten auf mich zu nehmen; die Pflicht, für das, was ich mit Marie getan hatte, 53
    einzustehen, bei den Mädchen, bei Leo, sogar meine Eltern würden es irgendwo
    erfahren. Ich wäre am liebsten hier geblieben und hätte bis an mein Lebensende Bonbons und Sütterlinhefte verkauft, mich abends mit Marie oben ins Bett gelegt und bei ihr geschlafen, richtig geschlafen bei ihr, so wie die letzten Stunden vor dem Aufstehen, mit ihren Händen unter meinen Achseln. Ich fand es furchtbar und
    großartig, diesen Alltag, mit Kaffeetopf und Brötchen und Maries verwaschener
    blauweißer Schürze über dem grünen Kleid, und mir schien, als sei nur Frauen der Alltag so selbstverständlich wie ihr Körper. Ich war stolz darauf, daß Marie meine Frau war, und fühlte mich selbst nicht ganz so erwachsen, wie ich mich von jetzt an würde verhalten müssen. Ich stand auf, ging um den Tisch herum, nahm Marie in
    die Arme und sagte: »Weißt du noch, wie du nachts aufgestanden bist und die
    Bettücher gewaschen hast ?« Sie nickte. »Und ich vergesse nicht«, sagte sie, »wie du meine Hände unter den Achseln gewärmt hast - jetzt mußt du gehen, es ist gleich halb acht, und die ersten Kinder kommen.«
    Ich half ihr, die Zeitungspakete von draußen hereinzuholen und auszupacken.
    Drüben kam gerade Schmitz mit seinem Gemüseauto vom Markt, und ich sprang in
    den Flur zurück, damit er mich nicht sehen sollte - aber er hatte mich schon gesehen.
    Nicht einmal der Teufel kann so scharfe Augen haben wie Nachbarn. Ich stand da im Laden und blickte auf die frischen Morgenzeitungen, auf die die meisten Männer so verrückt sind. Mich interessieren Zeitungen nur abends oder in der Badewanne, und in der Badewanne kommen mir die seriösesten Morgenzeitungen so unseriös wie
    Abendzeitungen vor. Die Schlagzeile an diesem Morgen lautete: »Strauß: mit voller Konsequenz!« Vielleicht wäre es doch besser, die Abfassung eines Leitartikels oder der Schlagzeilen einer kybernetischen Maschine zu überlassen. Es gibt Grenzen, über die hinaus Schwachsinn unterbunden werden sollte. Die Ladenklingel ging, ein kleines Mädchen, acht oder neun Jahre alt, schwarzhaarig mit roten Wangen und frisch ge-54
    waschen, das Gebetbuch unterm Arm, kam in den Laden. »Seidenkissen«, sagte sie,
    »für einen Groschen.« Ich wußte nicht, wieviel Seidenkissen es für einen Groschen gab, ich machte das Glas auf und zählte zwanzig Stück in eine Tüte und schämte mich zum ersten Mal meiner nicht ganz sauberen Finger, die durch das dicke Bonbonglas noch vergrößert wurden. Das Mädchen sah mich erstaunt an, als zwanzig Bonbons in die Tüte fielen, aber ich sagte: »Stimmt schon, geh«, und ich nahm ihren Groschen von der Theke und warf ihn in die Kasse.
    Marie lachte, als sie zurückkam und ich ihr stolz den Groschen zeigte. »Jetzt mußt du gehen«, sagte sie.
    »Warum eigentlich?« fragte ich, »kann ich nicht warten, bis dein Vater
    herunterkommt?«
    »Wenn er

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