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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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mein Vater, »der beste, den ich kenne.« - »Sogar der beste, den es hier gibt«, sagte ich, »aber nur ein Fachmann, er versteht was von Theater, Tragödie, Commedia dell’arte, Komödie, Pantomime. Aber schau dir
    einmal an, wie seine eigenen komödiantischen Versuche ausfallen, wenn er plötzlich mit violetten Hemden und schwarzen Seidenschleifen auftaucht. Da würde jeder
    Dilettant sich schämen. Daß Kritiker kritisch sind, ist nicht das Schlimme an ihnen, sondern daß sie sich selbst gegenüber so unkritisch und humorlos sind. Peinlich.
    Natürlich, er ist wirklich vom Fach - aber wenn er meint, ich sollte nach sechs Bühnenjahren noch ein Studium anfangen - Unsinn!«
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    »Du brauchst also das Geld nicht?« fragte mein Vater. Eine kleine Spur von
    Erleichterung in seiner Stimme machte mich mißtrauisch. »Doch«, sagte ich, »ich brauche das Geld.«
    »Was willst du denn tun? Weiter auftreten, in diesem Stadium ?«
    »Welches Stadium?« fragte ich.
    »Na«, sagte er verlegen, »du kennst doch deine Presse.«
    »Meine Presse ?« sagte ich, »ich bin seit drei Monaten nur noch in der Provinz aufgetreten.«
    »Ich habe mir das besorgen lassen«, sagte er, »ich habe es mit Genneholm
    durchgearbeitet.«
    »Verdammt«, sagte ich, »was hast du ihm dafür bezahlt?« Er wurde rot. »Laß das doch«, sagte er, »also, was hast du vor?«
    »Trainieren«, sagte ich, »arbeiten, ein halbes Jahr, ein ganzes, ich weiß noch nicht.«
    »Wo ?«
    »Hier«, sagte ich, »wo sonst ?« Es gelang ihm nur schlecht, seinen Schrecken zu verbergen.
    »Ich werde euch nicht belästigen und nicht kompromittieren, ich werde nicht
    einmal zum jourfixe kommen«, sagte ich. Er wurde rot. Ich war ein paarmal zu ihrem jour fixe gegangen, wie irgendeiner, ohne sozusagen privat zu ihnen zu gehen. Ich hatte Cocktails getrunken und Oliven gegessen, Tee getrunken und mir beim Weggehen Zigaretten eingesteckt, so offen, daß die Diener es sahen und sich errötend abwendeten.
    »Ach«, sagte mein Vater nur. Er wand sich in seinem Sessel. Am liebsten wäre er aufgestanden und hätte sich ans Fenster gestellt. Jetzt senkte er nur den Blick und sagte: »Es wäre mir lieber, du würdest den soliden Weg wählen, den Genneholm
    vorschlägt. Eine unsichere Sache zu finanzieren fällt mir schwer. Hast du denn nichts erspart? Du mußt doch ganz hübsch verdient haben in diesen Jahren.«
    »Keinen Pfennig hab ich erspart«, sagte ich, »ich besitze eine, eine einzige
    Mark.« Ich zog die Mark aus der
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    Tasche und zeigte sie ihm. Er beugte sich tatsächlich darüber und sah sie sich an wie ein merkwürdiges Insekt.
    »Es fällt mir schwer, dir zu glauben«, sagte er, ich habe dich jedenfalls nicht zum Verschwender erzogen. Was müßtest du denn so monatlich haben, wie hast
    du dir die Sache gedacht?«
    Mein Herz schlug heftig. Ich hatte nicht geglaubt, daß er mir so direkt würde
    helfen wollen. Ich überlegte. Nicht zu wenig und nicht zuviel, und doch genug
    mußte ich haben, aber ich hatte keine, nicht die geringste Ahnung, was ich
    brauchen würde. Strom, Telefon, und irgendwie mußte ich ja leben. Ich schwitzte vor Aufregung. »Zunächst«, sagte ich, »brauche ich eine dicke Gummimatte, so
    groß wie dieses Zimmer, sieben mal fünf, die könntest du mir aus euren
    Rheinischen Gummibearbeitungsfabriken billiger besorgen.«
    »Schön«, sagte er lächelnd, »ich stifte sie dir sogar. Sieben mal fünf - aber
    Genneholm meint, du solltest dich nicht mit Akrobatik verzetteln.«
    »Werde ich nicht, Papa«, sagte ich, »außer der Matte würde ich wohl noch tausend Mark im Monat brauchen.«
    »Tausend Mark«, sagte er. Er stand auf, sein Schrecken war aufrichtig, seine
    Lippen bebten.
    »Na gut«, sagte ich, »was dachtest du denn?« Ich hatte keine Ahnung, wieviel Geld er wirklich hatte. Ein Jahr lang tausend Mark - soviel konnte ich rechnen - waren zwölftausend Mark, und eine solche Summe konnte ihn nicht umbringen. Er war
    wirklich Millionär, das hatte Maries Vater mir genau erklärt und mir einmal
    vorgerechnet. Ich erinnerte mich nicht mehr genau. Er hatte überall Aktien und die
    »Hände drin«. Sogar in dieser Badezeugfabrik.
    Er ging hinter seinem Sessel hin und her, ganz ruhig, die Lippen bewegend, als ob er rechnete. Vielleicht tat ers wirklich, aber es dauerte sehr lange.
    Mir fiel wieder ein, wie schäbig sie gewesen waren, als ich mit Marie von Bonn wegging. Vater hatte mir geschrieben,
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    daß er mir aus moralischen Gründen jede

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