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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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meine Garderobe
    gelassen. Die fing an zu reden,

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    bevor ich noch richtig die Tür zugemacht hatte, und erklärte mir, ihr Mann sei auch General gewesen, er wäre gefallen und hätte ihr vorher noch einen Brief geschrieben und sie gebeten, keine Pension anzunehmen. »Sie sind noch sehr jung«, sagte sie,
    »aber doch alt genug, zu verstehen« - und dann ging sie raus. Ich konnte von da ab die Nummer General nie mehr aufführen. Die Presse, die sich Linkspresse nennt, schrieb daraufhin, ich habe mich offenbar von der Reaktion einschüchtern lassen, die Presse, die sich Rechtspresse nennt, schrieb, ich hätte wohl eingesehen, daß ich dem Osten in die Hand spiele, und die unabhängige Presse schrieb, ich habe offensichtlich jeglicher Radikalität und dem Engagement abgeschworen. Alles kompletter
    Schwachsinn. Ich konnte die Nummer nicht mehr vorführen, weil ich immer an die alte kleine Frau denken mußte, die sich wahrscheinlich, von allen verlacht und verspottet, kümmerlich durchschlug. Wenn mir eine Sache keinen Spaß mehr macht, höre ich damit auf - das einem Journalisten zu erklären, ist wahrscheinlich viel zu kompliziert. Sie müssen immer etwas »wittern«, »in der Nase haben«, und es gibt den weitverbreiteten hämischen Typ des Journalisten, der nie drüber kommt, daß er selbst kein Künstler ist und nicht einmal das Zeug zu einem künstlerischen Menschen hat.
    Da versagt dann natürlich die Witterung, und es wird geschwafelt, möglichst in Gegenwart hübscher junger Mädchen, die noch naiv genug sind, jeden Schmierfink anzuhimmeln, nur, weil er in einer Zeitung sein »Forum« hat und »Einfluß«. Es gibt merkwürdige unerkannte Formen der Prostitution, mit denen verglichen die
    eigentliche Prostitution ein redliches Gewerbe ist: da wird wenigstens fürs Geld was geboten.
    Selbst dieser Weg, mich von der Barmherzigkeit käuflicher Liebe erlösen zu
    lassen, war mir verschlossen: ich hatte kein Geld. Inzwischen probierte Marie in ihrem römischen Hotel ihre spanische Mantilla an, um als first lady des deutschen Katholizismus standesgemäß zu repräsentieren. Nach Bonn zurückgekehrt, würde sie bei jeder sich bietenden Ge-222
    legenheit Tee trinken, lächeln, Komitees beitreten, Ausstellungen »religiöser Kunst«
    eröffnen und sich nach einer »angemessenen Schneiderin umschauen«. Alle Frauen, die amtlich nach Bonn heirateten, »schauten sich nach angemessenen Schneiderinnen um«.
    Marie als first lady des deutschen Katholizismus, mit der Teetasse oder dem
    Cocktailglas in der Hand: »Haben Sie den süßen kleinen Kardinal schon gesehen, der morgen die von Krögert entworfene Mariensäule einweiht? Ach, in Italien sind
    offenbar sogar die Kardinale Kavaliere. Einfach süß.«
    Ich konnte nicht einmal mehr richtig humpeln, wirklich nur noch kriechen, ich
    kroch auf den Balkon hinaus, um etwas Heimatluft zu atmen: auch sie half nichts. Ich war schon zu lange in Bonn, fast zwei Stunden, und nach dieser Frist ist die Bonner Luft als Luftveränderung keine Wohltat mehr.
    Es fiel mir ein, daß sie es eigentlich mir verdanken, daß Marie katholisch geblieben ist. Sie hatte fürchterliche Glaubenskrisen, aus Enttäuschungen über Kinkel, auch über Sommerwild, und ein Kerl wie Blothert hätte wahrscheinlich sogar den Heiligen
    Franziskus zum Atheisten gemacht. Sie ging eine Zeitlang nicht einmal mehr zur Kirche, dachte gar nicht daran, sich mit mir kirchlich trauen zu lassen, sie verfiel in eine Art Trotz und ging erst drei Jahre, nachdem wir aus Bonn weg waren, in den Kreis, obwohl die sie dauernd einluden. Ich sagte ihr damals, Enttäuschung sei kein Grund. Wenn sie die Sache als solche für wahr hielte - könnten tausend Fredebeuls sie nicht unwahr machen, und schließlich - so sagte ich - gebe es ja doch Züpfner, den ich zwar ein bißchen steif fände, gar nicht mein Typ, aber als Katholiken glaubwürdig. Es gäbe sicher viele glaubwürdige Katholiken, ich zählte ihr Pastore auf, deren Predigten ich mir mitangehört hatte, ich erinnerte sie an den Papst, Gary Cooper, Alec Guinness
    - und sie rankte sich an Papst Johannes und Züpfner wieder hoch.
    Merkwürdigerweise zog Heinrich Behlen um diese Zeit schon nicht mehr, im
    Gegenteil, sie sagte, sie fände ihn schmierig, wurde immer verlegen, wenn ich von ihm an-223
    fing, so daß ich den Verdacht bekam, er könne sich ihr »genähert« haben. Ich fragte sie nie danach, aber mein Verdacht war groß, und wenn ich mir Heinrichs
    Haushälterin

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