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Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clowns

Titel: Ansichten eines Clowns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Böll
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sie mich, was ich vorführen wolle, in Leipzig, in Rostock, ob ich nicht den
    »Kardinal«, »Ankunft in Bonn« und »Aufsichtsratssitzung« vorführen könne.
    (Woher sie vom Kardinal wußten, haben wir nie herausgekriegt, denn diese Nummer hatte ich für mich allein einstudiert, sie nur Marie gezeigt, und die hatte mich gebeten, sie doch nicht aufzuführen, Kardinale trügen nun einmal Märtyrerrot.) Und ich
    sagte nein, ich
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    müsse erst die Lebensbedingungen hier ein wenig studieren, denn der Sinn der Komik läge darin, den Menschen in abstrakter Form Situationen vorzuführen, die ihrer eigenen Wirklichkeit entnommen seien, nicht einer fremden, und es gäbe ja in ihrem Land weder Bonn noch Aufsichtsräte, noch Kardinale. Sie wurden unruhig, einer
    wurde sogar blaß und sagte, sie hätten sich das anders vorgestellt, und ich sagte, ich auch. Es war scheußlich. Ich sagte, ich könnte ja ein bißchen studieren und eine Nummer wie »Sitzung des Kreiskomitees« vorführen oder »Der Kulturrat tritt
    zusammen«, oder »Der Parteitag wählt sein Präsidium« - oder »Erfurt, die
    Blumenstadt«; es sah gerade um den Erfurter Bahnhof herum nach allem anderen, nur nicht nach Blumen aus - aber da stand der Hauptmacher auf, sagte, sie könnten doch keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse dulden. Er war schon nicht mehr blaß, sondern richtig bleich - ein paar andere waren wenigstens so mutig, zu grinsen. Ich erwiderte ihm, ich sähe keine Propaganda gegen die Arbeiterklasse darin, wenn ich etwa eine leicht einzustudierende Nummer wie »Der Parteitag wählt sein Präsidium«
    vorführte, und ich machte den dummen Fehler, Bardeidag zu sagen, da wurde der
    bleiche Fanatiker wild, schlug auf den Tisch, so heftig, daß mir die Schlagsahne vom Kuchen auf den Teller rutschte, und sagte: »Wir haben uns in Ihnen getäuscht,
    getäuscht«, und ich sagte, dann könnte ich ja abfahren, und er sagte: »Ja, das können Sie - bitte, mit dem nächsten Zug.« Ich sagte noch, ich könnte ja die Nummer
    Aufsichtsrat einfach Sitzung des Kreiskomitees nennen, denn da würden ja wohl
    auch nur Sachen beschlossen, die vorher schon beschlossene Sache gewesen wären.
    Da wurden sie regelrecht unhöflich, verließen das Sälchen, bezahlten nicht einmal den Kaffee für uns. Marie weinte, ich war nahe daran, irgend jemand zu ohrfeigen, und als wir dann zum Bahnhof hinübergingen, um mit dem nächsten Zug zurückzufahren, war weder ein Gepäckträger noch ein Boy aufzutreiben, und wir mußten eigenhändig
    unsere Koffer schleppen, etwas, was ich hasse. Zum Glück begeg-
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    nete uns auf dem Bahnhofsvorplatz einer von den jungen Theologen, mit denen
    Marie am Morgen gesprochen hatte. Er wurde rot, als er uns sah, nahm aber der
    weinenden Marie den schweren Koffer aus der Hand, und Marie flüsterte die ganze Zeit über auf ihn ein, er solle sich doch nicht in Schwierigkeiten bringen.
    Es war scheußlich. Wir waren im ganzen nur sechs oder sieben Stunden in Erfurt gewesen, aber wir hatten es mit allen verdorben: mit den Theologen und mit den Funktionären.
    Als wir in Bebra ausstiegen und in ein Hotel gingen, weinte Marie die ganze Nacht, schrieb morgens einen langen Brief an den Theologen, aber wir erfuhren nie, ob er ihn wirklich bekommen hat.
    Ich hatte geglaubt, mich mit Marie und Züpfner zu versöhnen, würde das letzte
    sein, aber mich dem blassen Fanatiker auszuliefern und denen da den Kardinal
    vorzuführen, würde doch das aller- allerletzte sein. Ich hatte immer noch Leo, Heinrich Behlen, Monika Silvs, Zohnerer, Großvater und das Töpfchen Suppe bei
    Sabine Emonds, und ich konnte mir wohl ein bißchen Geld verdienen, indem ich auf Kinder aufpaßte. Ich würde mich schriftlich verpflichten, den Kindern keine Eier zu geben. Offenbar war das für eine deutsche Mutter unerträglich. Was andere die
    objektive Wichtigkeit der Kunst nennen, ist mir schnuppe, aber wo es gar keine Aufsichtsräte gibt, über Aufsichtsräte zu spotten, das würde mir gemein vorkommen.
    Ich hatte einmal eine ziemlich lange Nummer »Der General« einstudiert, lange
    daran gearbeitet, und als ich sie aufführte, wurde es das, was man in unseren Kreisen einen Erfolg nennt: d. h. die richtigen Leute lachten, und die richtigen ärgerten sich.
    Als ich nach dem Auftritt mit stolzgeschwellter Brust in die Garderobe ging, wartete eine alte, sehr kleine Frau auf mich. Ich bin nach den Auftritten immer gereizt, vertrage nur Marie um mich, aber Marie hatte die alte Frau in

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