Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
Vom Netzwerk:
mehreren Partys wurde bereits darüber gesprochen. Es waren Partys, die hauptsächlich von Wohlhabenden besucht wurden, also Leuten, die in großen Altbauwohnungen leben, Bio essen, Honorarrechnungen ausdrucken und Smartphones benutzen. Fast alle Berliner Wohlhabenden mussten in letzter Zeit erleben, dass in ihrer Straße ein Auto angezündet wurde. Es ist in Berlin Mode, dass sogenannte Autonome nachts in die Stadtviertel der Bioesser und der Smartphonebenutzer hineingehen und dort mithilfe von brennbaren Flüssigkeiten Autos anstecken. Sie wollen damit politisch etwas ausdrücken, sie wollen ihrem Unbehagen über den Reichtum in unserer Gesellschaft Luft machen. Die Polizei kann nicht viel dagegen tun.
    »Wir müssen zurückschlagen«, sagte mir ein Betroffener, ein erfolgreicher Kulturmanager. Wer sage denn, dass der Kampf der Armen gegen die Reichen eine Einbahnstraße sein müsse? Ihm sei aufgefallen, dass in seinen Kreisen, unter den wohlhabenden Kreativen, immer weniger Leute einen Fernseher besäßen. Höchstens, dass man noch ein Altgerät hat, das irgendwo versteckt herumsteht und bei wichtigen Fußballspielen oder bei Bundestagswahlen benutzt wird. Alles Übrige regelt man mit dem Laptop. Neue Fernseher kauft sich kein Mensch mehr, der es im tertiären Sektor zu etwas gebracht hat. Wer aber eine Unterschichtwohnung aufsucht, vielleicht, weil der eigene Sohn auf dem Schulweg verprügelt wurde, oder weil man eine Rechnung, an der Steuer vorbei, in bar begleichen möchte, der stellt fest, dass dort immer, wirklich immer, ein riesiger und sehr neuer Fernseher steht. Die Unterschicht fährt voll ab auf teure, große Fernseher.
    »Wir müssen uns wehren«, sagte also der Kulturmanager. Er würde es gut finden, wenn kleine Gruppen, zwei oder drei Wohlhabende, tertiärer Sektor, nachts maskiert in die Unterschichtwohnungen einsteigen und dort die neuen, teuren Fernseher mit Eisenstangen kaputtschlagen. Wahrscheinlich würde das sogar Spaß machen. Anzünden sei leider zu gefährlich, man will ja keine Toten. Er schlage den Wedding vor, der fast ausnahmslos von der Unterschicht besiedelt ist. Im Wedding erwischt es immer die Richtigen. Man müsse Farbdosen dabei haben, nach vollbrachter Tat müsse man an die Wand eine Parole sprühen. Etwa: »Eure Armut kotzt uns an!« Oder: »Nie wieder Bauer sucht Frau!« Danach geht man an den Kühlschrank und killt die gesamten Biervorräte. Eine andere Möglichkeit bestehe darin, mit Zwillen und Eisenkugeln die Satellitenschüsseln abzuschießen, eine Satellitenschüssel gehört immer der Unterschicht.
    Gewiss, die autonomen Autoanzünder seien vermutlich gar keine echten Unterschichtler, sondern Bürgerkinder, zum Teil wenigstens. Aber es gehe nicht um Gerechtigkeit, sondern um soziale Selbstbehauptung. Die Autonomen würden ja auch oft Autos der Marke BMW anzünden, obwohl kein echter Wohlhabender BMW fährt. Berliner Wohlhabende fahren Rad. Das »B« in BMW steht für Bankkredit.
    Man müsse den Wedding, der im Grunde eine schöne Wohngegend mit Potenzial ist, für die Unterschicht zur Hölle machen, sagte der Manager. Dann ziehen die aus. Ich übernehme sehr gerne eine von deren tollen Altbauwohnungen im Wedding, sagte er, und die können meinetwegen mein Loft in Prenzlauer Berg übernehmen. Prenzlauer Berg ist sowieso zu laut und zu voll geworden.

Über Klimakatastrophen
    Neulich hörte ich von einer psychologischen Theorie, die meinen Blick auf die Welt verändert hat.
    Während ich dies schreibe, blicke ich aus dem Fenster, hinaus in den Februarschnee. Es gibt in der Wohnung wieder einmal keine Milch. Vor einigen Wochen wollte ich meinem Sohn mitteilen, dass er Milch kaufen soll, weil ich zu viel zu tun hatte. Es waren Ferien. Er schläft dann bis zwölf. Ich habe den Zettel auf den Frühstückstisch gelegt, dort, wo er sich immer hinsetzt, um seine Cornflakes zu essen. Der Zettel lag genau an der Stelle, auf der Tag für Tag die Cornflakes-Schüssel steht.
    Als ich am Abend heimkehrte, stellte ich fest, dass er, wie immer, die Schüssel aus dem Schrank geholt und dann den Zettel ungelesen beiseitegeschoben hatte. Die Schüssel stand jetzt an der Stelle, wo vorher der Zettel lag. Der Kühlschrank war leer.
    Ihn auf dem Handy anzurufen hat keinen Zweck. Er geht nie dran. Einige Tage später wollte ich ihn darum bitten, das Katzenklo zu reinigen. Ich machte die Küchentür zu, so dass er sie öffnen musste, um an den Kühlschrank und an seine Schüssel heranzukommen. Er

Weitere Kostenlose Bücher