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Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme

Titel: Ansichten eines Hausschweins - Neue Geschichten ueber alte Probleme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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Geld ist weg, das ist ziemlich sicher. Ob meine Entscheidung richtig war, weiß ich dagegen erst in einigen Monaten, wenn ich das Auto mit seinen Stärken und Schwächen genau kenne. Ich habe dieses spezielle Auto gekauft, ich kann nun kein anderes nehmen, jahrelang.
    Der Gedanke, dass ich eine folgenschwere falsche Entscheidung getroffen haben könnte, hat mich fertiggemacht.
    Wollte ich überhaupt ein Auto haben, ich meine, wirklich? Warum habe ich das Geld nicht in meine Altersversorgung investiert? Ich werde alt sein und kein Geld für Sushi haben, und zwar wegen dieses Autos. Im Moment des Kaufs hat mir das Auto gefallen. Aber wie werde ich das Auto in zwei, drei Monaten beurteilen?
    Dann stelle ich vielleicht fest, dass ich am Tag des Autokaufes in einer mentalen Ausnahmesituation gewesen bin. Vielleicht hat mich auch der Autoverkäufer manipuliert. Naturgemäß merkt man es nicht, wenn man manipuliert wird. Deshalb habe ich andere Menschen nach ihrer Meinung gefragt. »Wie findest du mein neues Auto? Ist es schön? Sag, dass es schön ist!«
    Die anderen Menschen dachten, dass ich angeben will. Ich wollte aber nicht angeben, ich wollte Trost. Aber den meisten Menschen ist es vollkommen egal, ob mein neues Auto schön ist. Das spüre ich. Der Mensch ist einsam, er ist, ich glaube, das hat Camus gesagt, ein Geworfener. Wenn ich eingekauft habe, denke ich existenzialistisch. Und wenn ich nur das Allernötigste ausgebe? Wenn ich alles spare? Ich sterbe vielleicht, bevor ich alt bin. Dann will ich mir doch wenigstens etwas gegönnt haben, ich will doch wenigstens ein Auto gehabt haben in diesem Hundeleben, als Geworfener.
    Es kann aber auch etwas Unvorhersehbares passieren, noch heute. Ich brauche plötzlich Geld. Aber da ist nun statt des Geldes dieses Auto, von dem ich nicht einmal weiß, ob es mir wirklich gefällt. Das Auto hat eine schlechte Sicht nach hinten. Einparken ist mühsam. Nun werde ich also jahrelang Mühe beim Einparken haben, und dafür habe ich auch noch Geld ausgegeben, zu viel vermutlich. Diese Autos gibt es anderswo bestimmt billiger. Geld ist weg, das ich bald dringend brauchen und dann nicht haben werde, aber gehabt haben werden könnte oder so ähnlich, wenn nur das verfluchte Auto nicht wäre, dieses Auto, das meine finanzielle Zukunftsperspektive zerstört, meine innere Sicherheit bedroht und für das ich, weil es so hässlich ist, auch noch heimlich von allen verachtet werde. Ich könnte heulen, echt. Animal triste sum.

Über Juden
    Ich gehöre zum dreizehnten Stamm des jüdischen Volkes. Ich bin ein sogenannter Scheinjude.
    Seit mein Name in der Zeitung steht, bekomme ich vier- oder fünfmal im Jahr Briefe, in denen ich als Jude angesprochen, als Jude gelobt oder als Jude beschimpft werde. Das hängt mit meinem Namen zusammen. Viele denken irrtümlicherweise »Martenstein« sei etwas Ähnliches wie »Goldstein«, »Bernstein« oder »Finkelstein«. Außerdem schreibe ich häufig humoristisch, meine Freunde sagen, ich sei intelligent, ich lese gern, und meine Nase ist wohl auch etwas größer als der Durchschnitt.
    Dies alles mögen Klischees sein, doch für uns Scheinjuden ist daraus Lebenswirklichkeit geworden. In den Briefen steht entweder, dass ich eine miese Sau sei. Oder es heißt, ausgerechnet ich, wo mein Volk doch schon so viel gelitten hat, solle nicht Sachen schreiben, die anderen Schmerz zufügen, ich hätte aus der Geschichte wohl gar nichts gelernt. Oder es heißt bewundernd, ich sei ein typischer Vertreter des jüdischen Humors, so wie ich könne halt nur einer wie ich schreiben.
    Das ist nicht erfunden, das habe ich alles gekriegt, und ich antworte natürlich immer als Jude. Der ersten Sorte schreibe ich: »Ich bin leider gegen die Todesstrafe, aber Ihnen müsste man mal so richtig Ihren arischen Arsch versohlen, das hat noch keinem geschadet. Und danach hundert Kniebeugen, hopp, hopp.« Der zweiten Sorte schreibe ich, dass ich wegen meiner tragischen Familiengeschichte traumatisiert bin, das Schreiben lustiger Kolumnen sei meine Methode, mein Trauma zu verarbeiten. Ohne das Trauma müsste ich vermutlich als Dachdecker oder im Callcenter arbeiten statt schön im Warmen als Kolumnist, deswegen sei ich dem deutschen Volk sehr dankbar für mein Trauma. Ich hätte also durchaus aus der Geschichte etwas gelernt. Um meine Dankbarkeit zu beweisen, wolle ich dem Briefschreiber gern ein paar Mazze schicken oder einen gefillten Fisch. Zum Zeichen der deutsch-jüdischen

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