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Ansichten eines Klaus - Roman

Ansichten eines Klaus - Roman

Titel: Ansichten eines Klaus - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael-André Werner
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umgekehrt.
    »Ach«, sage ich. »Du mal wieder.«
    Sie sieht mich eine Weile an. Ich sehe sie eine Weile an. Ich finde, es ist jetzt an ihr, irgendwas zu machen. Ich habe schon hallo gesagt.
    Sie blinzelt. Dann sagt sie: »Miau«, und das klingt fast wie: »Na, endlich«.
    Was? Na, endlich machst du deine Kneipe auf? Weißt du, wie lange ich hier schon sitze und warte? Was gibt’s denn da zu meckern, sie weiß doch, wann ich den Laden aufmache. Und ich kann auch nichts dafür, wenn das Tor zum Hof geschlossen ist, weil irgendein Depp oder Hauswart morgens die Hoftür zuschließt, um seine Beliebtheit bei den Nachbarn zu senken. Nachts rumstromern, und wenn dann hinten das Tor zu ist, rumjammern.
    »Na, komm schon rein, du dummes Ding«, sage ich, und einen Augenblick schaut sie mich noch an, dann hebt sie ihr Hinterteil und stolziert langsam an mir vorbei, als sei ich ihr Butler. Komm’ Serein, gnä’ Frau, darf ich Ihnen ein Glas Milch anbieten? Sie schleicht zum Tresen, sieht sich dabei überall um. Für einen Moment denke ich, das ist Meienheinrich vom Lebensmittelaufsichtsamt im Kostüm, um heimlich meinen Laden zu inspizieren. Aber heute läuft sie in einem weiten Bogen nach rechts und schleicht am Tresen entlang.
    »Na, wo willst du hin?«, sage ich, erwarte aber weder eine Antwort, noch dass sie überhaupt reagiert. Ich bin es gewohnt, dass man mich nicht beachtet, wenn man mich nicht braucht. Aber ich bin erstaunt, weshalb sie in die hinterste Ecke meiner Kneipe will, hat das Brautpaar gestern noch ein paar Krümel von der Torte verloren? Sie verschwindet halb hinter dem Tresen, ich sehe nur noch ihre Hinterbeine und ihren hin und her zuckenden Schwanz. Dann dreht sie sich um, schaut mich an und miaut wieder.
    »Was denn?«, sage ich.
    Kuck doch selbst, sagt ihr Miauen, kuck, was ich gefunden habe. Na, dann kuck ich halt. Vor dem Tresen, hinter der Rundung zur Wand, halb unter einem Tisch, liegt jemand. Der letzte Gast, das erste Opfer dieser Ehe. Er atmet, schnarcht sogar leise. Na, Hauptsache nicht tot, denke ich. Und wer ist es? Jemand, den ich kenne aus der ganzen großen Schar, die gestern hier war, der Bräutigam etwa? Nein. Es ist Alexander. Wundere ich mich etwa? Nein, eigentlich nicht. Ich will auch nicht wissen,weshalb Ilka – soviel scheint klar – ihn rausgeschmissen hat, dass er in der Kneipe seines ehemaligen Mitschülers übernachten muss, und weshalb er es nicht einmal in seine nette Zweitwohnung geschafft hat. Soll er weiterschlafen. Ich lasse die Tür offen, vielleicht wird ihm kalt und er geht.
    »Fein, Lassie«, sage ich zu der Katze, »den hast du fein gefunden.« Aber sie blickt mich nur vorwurfsvoll an, was für ein Gesindel ich in den Ecken meiner Kneipe rumliegen lasse. Dann setzt sie ihren Weg fort. Immer dicht am Tresen entlang, biegt ab, läuft durch den Flur in die Küche, und bis ich hinter ihr her bin, sitzt sie schon auf dem Fensterbrett und schaut hinaus, in den grauen Hinterhof, hinüber zum anderen Fenster, da, wo die Frau wohnt.
    »Na?«, sage ich zu ihr, als ich hinter ihr stehe, genau von oben, und sie hebt den Kopf, dreht ihn hin und her, um mich besser sehen zu können und miaut.
    »Ja, was denn?«, frage ich.
    Sie steht auf, dreht sich anderthalbmal um sich selbst und setzt sich wieder hin, so dass sie mich besser sehen kann und auch aus dem Fenster. Immer abwechselnd. Blick aus dem Fenster, Blick zu mir, Blick aus dem Fenster, Blick zu mir.
    »Ja?«, sage ich. »Willst du mir damit andeuten, ich soll das Fenster öffnen, damit du hinaus und zu deinem Frauchen kannst? Sagt man überhaupt Frauchen bei Katzen?«
    Sie miaut.
    War das ein Ja? Oder ein Nein?
    Ich streichle sie am Kopf, mit den Fingerspitzen zwischen den Ohren, dort, wo man jeden Knubbel der Fontanelle einzeln spürt. Sie dreht den Kopf zur Seite und miaut wieder.
    »Soso, Lassie. Dann mal im ganzen Satz.« Ich lasse meine Hand langsam zum Fenster wandern und umfasse den Fenstergriff.
    Für einen Moment ist sie abgelenkt, vielleicht sogar beruhigt, dass ich sie endlich verstehe, dass endlich etwas passiert. Ich lasse die Hand lässig auf dem Griff liegen. Sie merkt, dass sich nichts tut und meckert.
    Genug der Tierquälerei. Ich hab ja noch was anderes zu tun. Mir fällt der schlafende Alexander im Schankraum ein. Den muss ich loswerden. Oder ich hänge ein Schild ins Fenster: » Theaterklaus – jetzt mit Schnapsleiche«.
    »Ich könnte dich auch als Geisel nehmen und von deinem Frauchen einen Besuch

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