Ansichten eines Klaus - Roman
ich zog durch die Welt, ab und zu liefen wir uns über den Weg, ein Semester haben wir sogar an der Uni zusammen studiert. Und wir sind ausgegangen, waren im Kino, waren was trinken, haben gequatscht, sie hatte gerade einen Freund, ich war gerade solo. Ein Jahr später rief sie mich an, hatte sich getrennt, ich war mit einer Frau zusammen. Na ja ...«, er presst die Fingerspitzen zusammen und lässt die Hand aus dem Gelenk heraus langsam rotieren, als drehe er an einer kleinen Kurbel, »... und so weiter.«
Er beißt von seinem Butterbrot ab und kaut.
Und so weiter? Das war’s?
»Und dann lernte ich meine Freundin kennen. Die Frau meines Lebens. Ja – das klingt jetzt kitschig«,er winkt ab. »Ist aber so. Die Frau meines Lebens. Jeder Tag ohne sie ist – schlimm.«
Er nickt, wahrscheinlich, weil ich nicht nicke. Irgendwer muss dem eben Gesagten ja zustimmen.
»Letzte Woche haben wir uns wieder mal getroffen, ich und – sie. Ehemaligentreffen meines Abi-Jahrgangs.«
Jetzt nicke ich doch. Stimmt, unser Ehemaligentreffen. Bin ich nicht hingegangen. War ich seit Jahren nicht mehr, so gut wie nie eigentlich. Für einen Moment hatte ich überlegt, hinzugehen. Dann fiel mir auf, dass die ja alle so alt sind wie ich. Da hat’s mich geschaudert.
»Aber wie gesagt«, sagt er, »da war nichts zwischen ihr und mir. Außer, dass es nicht nachlässt. Dass ich immer noch so verliebt bin wie am ersten Tag. Sie ist jetzt verheiratet und lebt Gott sei Dank nicht in der Stadt.« Er wischt auf seinem Handy rum, schaut aufs Display und legt es wieder hin. »Und ich bin ja auch ...«
Ich frage mich, wen er meinen könnte. Sicher niemand aus meiner Klasse, und die Mädchen aus der Parallelklasse kannte ich ja so gut wie nicht. Gesichter, ja, aber die Namen dazu? In der Oberstufe wurden wir in Kursen durcheinandergemischt, aber vielleicht hatten wir nicht mal dieselben Kurse zusammen.
Er sieht mich an.
»Es ist, als schiebt sich in meinem Kopf ein Gesicht über ein anderes, wie ein Dia und darüber noch eins und noch eins. Und wieder eins. Und das noch. Und das. Und das. Alle, in die ich später verknallt war, Heike, Steffi, Kristina, Biggi, Betti, Renate, Carina, Sandra, Anne, alle. Ganz unten ist immer sie. Und alle anderen ... Es hört nicht auf. Es hört einfach nicht auf. Tja.«
»Tja«, sage auch ich, dann fällt mir auf, dass er das als Bestätigung auffassen kann und sage: »Aber ...«, ohne zu wissen, wie es weitergehen soll. Reicht vielleicht auch. Es gibt immer ein Aber. Ich kann das nicht so stehen lassen. Das muss doch angezweifelt werden.
»Ja«, sagt Alexander. »Das große ABER. Es gibt kein Entweder-oder. Es gibt ja nicht mal ein Und. Es gibt nur ein ... Aber.«
So habe ich das nicht gemeint, denke ich und würde ihm ja widersprechen. Wenn es mich interessieren würde. Oder wenn es etwas ändern würde. So sag ich nur wieder: »Tja.« Und dann: »Das Leben ist schon schwer, wenn man sich zwischen zwei Frauen entscheiden muss.«
»Ja«, lacht er, »und in Afrika verhungern die Kinder. Wäre schön, wenn man solche globalen Probleme lösen könnte, nur dadurch, dass man sich für eine Frau entscheidet.« Er wischt auf seinem Smartphone herum, schaut aufs Display, sagt: »Na«, und legt es wieder hin.
»Und?«, frage ich.
»Nichts«, seufzt er. Dann sieht er sich noch eine Weile im Raum um. »Nett hier«, sagt er.
Nett.
»Ich hab’s vom Vorbesitzer so übernommen. Ist jedenfalls alt.«
»Ja«, sagt er, »alt.« Er streckt sich. »Wo sind denn hier die Toiletten?«
»Da, wo sie gestern auch schon waren.«
Er grinst. »Ich kann mich nicht erinnern.«
»Da durch die Tür«, deute ich den Tresen entlang, »und dann da, wo das Männchen an der Tür klebt.«
Er nickt, steht auf und macht sich auf den Weg, seine Hand lässt er über den Tresen gleiten, als wollte er prüfen, ob auch richtig Staub gewischt wurde. Dann ist er weg. Ich sehe auf die Uhr. Rolf hatte ich versprochen, dass ich seine Vormittagsschicht übernehme, er kommt frühestens in zwei Stunden. Bis dahin kann ich mich hier allein beschäftigen oder noch besser mit Alexander.
»So«, sage ich, als er um die Ecke kommt, »ich muss jetzt an die Arbeit. Aufräumen, saubermachen. Wiedersehen.«
»Kann ich helfen?«, fragt er.
Nein, geh nach Hause, will ich sagen, stattdessen sage ich: »Ja, einmal feucht durchwischen. Eimer und Mopp sind in der Küche.« Wie komme ich dazu, ihn ins Allerheiligste meiner Kneipe einzuladen?
»Gut«, sagt er
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