Ansichten eines Klaus - Roman
war doch nichts.«
»Hier kannst du jedenfalls nicht wohnen.«
»Nö, nö«, er schüttelt den Kopf, »schon klar. Ich hab da noch ... eine Zweitwohnung.«
»Für Notfälle?«, frage ich. »Falls die Freundin dich rausschmeißt?«
»Was? Nein!« Er starrt mich überrascht, fast entsetzt an, was ich ihm da unterstelle. Ja, es ist fast schon Erschrecken, Schmerz, als würde er erst jetzt feststellen, was er seiner Freundin mit diesem stetigen, immer währenden Fremdgehen antut. »Nein! Was denkst du denn? Ich liebe sie. Sie ist der wichtigste Mensch in meinem Leben.«
Ich sehe ihn an, wie er so mit mir redet, und denke: Du bist unglaublich. Wenn ich diesen Satz irgendwo lesen würde, wenn ich ihn in einem Film hören würde, ich müsste laut loslachen. Aber hier, in diesem Moment, so wie du ihn sagst, klingt er völlig ehrlich. Ich würde dir sogar glauben – wüsste ich es nicht besser. Und selbst jetzt, wo ich es eigentlich besser weiß, bin ich geneigt, dir tatsächlich zu glauben. Ich würde dir sogar einen Gebrauchtwagen abkaufen. Und in diesem Moment weiß ich, weshalb Alexander in seinem Job so gut ist. Genau deswegen und wegen seines ewigen Lächelns. Wahrscheinlich haben sie ihn bei der Geburtan den süßen, kleinen Wangen aus der Mutter herausgezogen, und jetzt lächelt er und lächelt und lächelt. In der Schule hat er bei einem Spiel mal einen Basketball ins Gesicht bekommen, schlechtes Zuspiel, er hatte nicht richtig aufgepasst, den Kopf gedreht, was auch immer, und als er wieder hinschaute, kam der Ball. Direkt auf die Nase. Er fiel um und blieb liegen. Dann rappelte er sich, langsam, setzte sich auf, hielt sich den Kopf, die Nase blutete, aber er lächelte. Alles nicht so schlimm, dachten alle, die zu ihm gerannt waren und nun um ihn herumstanden und hockten und saßen, »Geht’s wieder?«, und er lächelte. Trotz der Schmerzen. Die Nase war gebrochen. Davon ist nichts mehr zu sehen, hat er sich wohl irgendwann richten lassen. Sieht ja auch nicht gut aus: Pressesprecher eines Weltkonzerns mit der Nase der Klitschkos.
Ich stehe auf, sage: »Ich muss dann mal ... Ich komm gleich wieder«, und gehe nach hinten, in die Küche, blicke nach drüben ins Fenster. Keine Katze, keine Frau, die Küche gegenüber ist dunkel. Ich nehme einen Salzstreuer und gehe zurück zu Alexander.
»Salz«, sage ich und stell es auf den Tisch,
Er legt sein Handy hin und zeigt auf den Salzstreuer auf dem Tisch. »Salz.«
»Doppelt hält besser«, sage ich und setze mich.
Er greift nach der Karte und klappt sie auf.
»Wir haben noch geschlossen«, sage ich. »und Bier gibt’s erst ab elf.«
»Schon klar«, sagt er, dann, ohne Pause, ohne den Tonfall zu ändern und ohne von der Karte aufzublicken: »Warst du schon mal verliebt?«, und ohne eine Antwort abzuwarten: »Ich meine, so richtig?«
Was sind denn das für Fragen? Unter Männern. So früh am Morgen. So was hab ich vielleicht mal mit Petra diskutiert, aber da waren wir schon nicht mehr zusammen. Keine Frage, die man in einer Beziehung ehrlich beantwortet. Warst du schon mal richtig verliebt? Natürlich, Schatz, in dich natürlich. Und meist ist es ja auch so. Subjektiv gesehen zumindest. Aber unter Männern? Noch dazu zwischen welchen, die sich gar nicht kennen. Ich habe nicht vor, jetzt mit Alexander zu besprechen, ob ich verliebt bin, war, hätte sein können, gern sein würde, gern gewesen wäre, und wenn, dann in wen, warum und wie lange.
»Klar«, sage ich.
»Klar«, sagt er und lacht. »Nein, wirklich«, er sieht von der Karte auf und mich an. »So richtig verliebt.«
Worauf will er hinaus?
»Ja«, sage ich, »und du?«
»Ein Mal«, antwortet er und hält einen Finger hoch.
»Und deine Freundin hat’s rausgekriegt«, sage ich und zeige auf sein Handy.
Er lacht auf. Dann schüttelt er den Kopf.
»Ich hab mich kurz vor dem Abi in eine Mitschülerin verliebt«, sagt er. »Wir waren ein paarmal zusammen im Kino, ein paarmal im Park spazieren, alles ...«, er macht mit der flachen Hand einen horizontalen Schnitt in die Luft, »... alles ganz harmlos, nicht mal geknutscht haben wir. Ich meine, ich war verliebt, in ihre Stimme, in ihren Hals, in ihren kleinen Finger sogar. Aber am wichtigsten – wir haben uns verstanden. Vor ihr war ich einfach nur verknallt und hab mich stundenlang schüchtern angeschwiegen mit den Mädchen. Und dann sie. Aber ich war verliebt. Nicht sie. Sie wusste davon nicht mal was, ich hab ihr nichts gesagt. Dann kam das Studium,
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