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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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verändern, dass sich damit besser hantieren ließ. Die Schimpansen machten dieser These einen Strich durch die Rechnung, indem sie Zweige aufspleißten, um damit Termiten aus ihren Bauten zu angeln. Eine andere Theorie lautete: Tiere besitzen kein Kunstverständnis! Wo aber sollte man dann einen Laubenvogel einordnen, der seine kunstvoll aus Zweigen gebaute Laube am Ende mit einer einzigen blauen Feder schmückt, diese Feder über die Tür steckt, dann einige Schritte zurücktritt, sein Kunstwerk mit schief gelegtem Kopf betrachtet, wieder herantritt, die Feder an einen anderen Platz steckt und dies so lange wiederholt, bis er mit der ästhetischen Wirkung endlich zufrieden ist? Aber war nicht wenigstens das menschliche Sprachvermögen einzigartig? Dagegen sahen die Tiere doch alt aus mit ihrem Grunzen, Pfeifen und Zähnefletschen. Inzwischen wissen wir, dass ein Gen namens FOX 2 sowohl für dieSprachentwicklung beim Menschen als auch für die Entwicklung des Gesangs bei Vögeln zuständig ist. Papageien können Worte bilden und sinnvoll zuordnen, Schimpansen beherrschen die Gebärdensprache, und vor Kurzem wurden die ersten Anfänge von Satzbau in den Warnrufen der Zwergmungos, einer Schleichkatzenart, entdeckt – inklusive einem Adjektiv, das die Bedrohlichkeit der Lage beschreibt. Es war wie in dem Märchen von dem Hasen und dem Igel. Immer wenn die Wissenschaft einen Beweis für die Einzigartigkeit des Menschen ausgemacht zu haben glaubte, stellte sich kurz darauf heraus, dass diese Fähigkeit im Tierreich längst existierte. Selbst den Zungenkuss gibt es beim Bonobo, einem nahen Verwandten der Schimpansen. All die vielen Daten über Kognition, Emotion und Kulturfähigkeit im Tierreich, die gesammelt worden waren, um den grundlegenden Qualitätsunterschied zwischen Mensch und Tier zu beweisen, belegten bloß, dass es diesen grundlegenden Unterschied nicht gab. Höchstens ein Mehr-oder-Weniger. Okay, kein Tier außer uns kann Sauce béarnaise zubereiten, aber dabei handelt es sich nicht um eine grundlegende Andersartigkeit. Die Zubereitung, also die Veränderung von Nahrung beherrscht zum Beispiel schon ein Hund, wenn er seinen Fleischknochen verbuddelt, um ihn durch Verwesung noch schmackhafter zu machen. Natürlich erfordert die Zubereitung von Sauce béarnaise mehr Raffinesse als das Verbuddeln eines Knochens, auch das Endprodukt schmeckt sehr unterschiedlich – aber grundsätzlich machen der Koch und der grabende Hund das Gleiche: Sie verändern Nahrungsmittel für den Genuss.
    Aber selbst, wenn sich irgendwann doch noch eine grundsätzliche Fähigkeit finden ließe, die außer dem Menschen kein anderes Tier besitzt, warum sollte unsdas vom Tierreich trennen? Warum sollte das beweisen, dass wir etwas anderes sind als eben ein Tier mit dieser besonderen Fähigkeit? Aus einem einzigen Grund: Weil es der Mensch selber ist, der definiert, wem er sich zugehörig, verbunden und verpflichtet fühlen muss, und zwar so, wie es ihm in den Kram passt.
    Nehmen wir einmal an, ein großes Fest steht bevor, zum Beispiel die Konfirmation des Neffen Sebastian. Da muss natürlich die ganze Familie eingeladen werden. Fragt sich nur, wer gehört eigentlich alles dazu? Sollen wir etwa auch Tante Emmi einladen? Tante Emmi, die ein bisschen komisch riecht und beim Essen immer mit dem Gebiss quietscht? Eigentlich gehört sie ja gar nicht richtig zur Familie, jedenfalls nicht zur engeren. Sie ist bloß angeheiratet, noch dazu in zweiter Ehe, und Onkel Herbert längst tot. Niemand will sich so recht für die Einladung der vereinsamten alten Dame ins Zeug legen, bis dem Konfirmanden einfällt, dass Tante Emmi im letzten Jahr 500 Euro zur Konfirmation eines gewissen Marvin abgedrückt hat. Liebevoll beschließen wir, über die lockeren Bande der Verwandtschaft hinwegzusehen. Unsere Tante Emmi! Natürlich ist sie unsere Tante!
    Auf wen wir den Begriff der Verwandtschaft ausdehnen, hängt oft weniger von den tatsächlichen Verwandtschaftsgraden ab als davon, welche Vor- und Nachteile wir uns davon versprechen. Wer möchte schon mit einem Plumpbeutler oder Bindenwaran verwandt sein – bloß weil alle biologischen Gegebenheiten dafür sprechen?
    Aber ist es denn wirklich so schlimm, eine schlürfende, schlabbernde Verwandtschaft zu haben, die ein bisschen komisch riecht und unanständig behaart oderbeschuppt ist? Ist es nicht viel peinlicher, einer Spezies anzugehören, die ihre herausragende Intelligenz dazu benutzt, sich selbst zu

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