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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Vettern und Cousinen vorbei. Teufel auch, sind die uns ähnlich!
    Doch obwohl das Verwandtschaftsverhältnis kaum zu übersehen ist und es inzwischen zum Allgemeinwissen gehört, dass Menschen und Schimpansen zu 98,4 % genetisch übereinstimmen, tun wir uns immer noch schwer mit der Anerkennung unserer haarigen Verwandtschaft, von der schuppigen und schleimigen ganz zu schweigen. Wer weiß schon, dass auch unsere genetische Übereinstimmung mit der Maus bereits stolze 95 % beträgt. Selbst im Fadenwurm Caenorhabditis elegans steckt noch ein gerütteltes Maß Mensch – immerhin 74 % seiner Gene teilt er mit uns. So verwunderlich ist das gar nicht. »Alle organischen Wesen, die jemals auf dieser Erde gelebt haben, stammen von einer einzigen Urform ab«, schreibt Darwin. Unsere Vorfahren waren Affen, deren Vorfahren kleine nagetierähnliche Säuger waren. Deren Vorfahren wiederum mit Molchtatzen durch den Schlamm patschten und Algen schlürften. Deren Vorfahren sich als primitive Einzeller in der brodelnden Ursuppe unterseeischer Schlote tummelten. Gott, so er denn zu existieren geruht, hat uns nicht in einem separaten Arbeitsgang erschaffen, sondern nach demselben einfachen Grundbauplan konstruiert wie alle anderen Wirbeltiere. Wir sind – oder wollen das zumindest gern glauben – das Interessanteste, was der große Baumeister aus seinem Klötzchenkoffer zusammengesetzt hat, aber es sind dieselben Klötzchen, aus denen auch das Walross entstanden ist, die Schleiereule und der Wombat. Arme, Beine, Flügel, Flossen … – alles bloß Variationen derselben Idee. Genetische Sequenzen, die bei uns mit dem Aufbau der Arme in Verbindung stehen, bringen beim Pferd die vorderen Beine hervor, beim Vogel Flügel und beim Fisch die Vorderflossen. Man braucht keine verschiedenen Gene, um verschiedene Arten entstehen zu lassen – so wenig, wie man neue Wörter braucht, um neue Bücher zu schreiben. Sie müssen nur anders kombiniert oder – im Fall der Gene – mittels ihrer Ein- und Ausschaltmechanismen aktiviert werden.
    Abgesehen von einigen entschlossenen und bibelfesten Gegenrevolutionären zieht es heute niemand mehr in Zweifel, dass unsere Vorfahren Affen waren. Den Umkehrschluss – dass wir folglich auch Affen sind – ignorieren wir geflissentlich. Gäbe es einen grundlegenden, objektiv beweisbaren Unterschied, einen unüberbrückbaren Abgrund zwischen Menschen und anderen Tieren, so ließe sich der an der DNS ablesen. Die sagt aber genau das Gegenteil: Mensch und Tier – alles eine Soße. Darum muss es einen auch nicht verwundern, wenn einem der Arzt das gleiche Schmerzmittel verschreibt, das uns letzte Woche der Tierarzt für den Hund mitgegeben hat. Die Rechtfertigung für Tierversuche lautet, dass man Tieren alles antun darf, weil sie etwas völlig anderes als Menschen seien. Aber Medikamente ließen sich nicht erfolgreich an Mäusen, Ratten, Hunden, Schweinen, Affen usw. testen, wenn es nicht zahlreiche und wesentliche Gemeinsamkeiten zwischen ihnen und uns gäbe. Das Auge eines Kaninchens, in das man eine scharfe Salbe schmiert, verätzt genauso schnell wie das eines Menschen.
    Wir teilen unsere grundlegenden Eigenschaften, Bedürfnisse, Interessen und Nöte mit vielen Tieren – Sauerstoffatmung, Stoffwechsel, Sexualität, Hunger, Durst, Schmerz, Freude, Frieren, Angst, Wut. Unsere wichtigste Eigenschaft teilen wir mit allen – wir sind Lebewesen. Es ist offensichtlich, dass wir eine Art unter vielen sind. Nur scheinen die offensichtlichen und allgegenwärtigen Tatsachen auch die zu sein, die sich am leichtesten übersehen lassen. In unseren Köpfen sitztimmer noch der alte Mythos, wir seien mehr als ein Tier, nämlich Tier plus X. Und weil sich dieses X in der DNS nicht finden lässt, suchen wir bis heute nach einer speziellen menschlichen Eigenschaft oder Fähigkeit, durch deren Erwerb wir an einem bestimmten Punkt der Evolution das Tierreich verließen, um zu einem grundlegend anderen, ganz wunderbaren Wesen zu werden, einer Klasse für sich. Als ob Tierhaftigkeit etwas wäre, aus dem man herauswachsen könnte wie aus den Kleidern seiner Kindheit.
    Bis in die 50er-Jahre glaubte man zum Beispiel, die Fähigkeit zur Werkzeugherstellung hätte den Menschen über das Tierreich erhoben. Viele Tiere benutzen Werkzeuge, Seeotter zum Beispiel legen sich Steine auf den Bauch, um Muscheln daran aufzuschlagen. Aber nur der Mensch, so hoffte man, besitze die kognitiven Fähigkeiten, um einen Gegenstand so zu

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