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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Jeder, der mit dem Gedanken spielt, seinen Lebenspartner als Entscheidungsbevollmächtigten in eine Patientenverfügung einzusetzen, sollte sich vorher bei einem Tierarzt anschauen, wie viele einst heiß geliebte Hunde aus Altersgründen oder weil sie plötzlich überall hinpinkeln und zufällig auch der Urlaub vor der Tür steht, von ihren Besitzern zum »Einschläfern« gebracht werden.
    »Komm«, sage ich zu Bulli, »wir kriegen das schon hin.«
    Bulli humpelt zu mir. Das Serom-Euter ist noch größer geworden. Aber es liegt nicht nur daran. Sein rechtes Hinterbein ist zu einem Elefantenbein angeschwollen. Das war gestern noch nicht. Bulli sieht mich kläglich an. Das Fell in seinem Gesicht ist in den letzten Monaten ganz grau geworden. Ich kann nicht mehr ausschließen, dass das hier womöglich doch unsere letzte Tour wird, und packe ein Laken und eine Decke ein, in die wir dann notfalls Bullis Leichnam wickeln könnten. Jiminy fährt. Bulli und ich sitzen auf dem Beifahrersitz, Bulli im Fußraum, Vorderpfoten und Brust auf meinem Schoß, damit das Serom frei in der Luft hängen kann und ihn nicht drückt. Ich bitte Jiminy, an einem Aldi-Markt zu halten, und kaufe ein Pfund Rindergulasch. Bio-Gulasch ist auf der Strecke natürlich nicht zu kriegen. Ist mir egal, wie das Rind gefoltert worden ist, mein Hund soll jetzt Gulasch haben. Bulli isst gerade mal die Hälfte, dann mag er nicht mehr. Das ist noch nie vorgekommen.
    In der Tierklinik sind wir angemeldet, aber Jiminy, Bulli und ich müssen uns trotzdem ins Wartezimmer setzen. Ein Notfall ist eingeliefert worden, ein BernerSennenhund mit einer Magendrehung. Das Wartezimmer ist gleichzeitig der Flur. Ein Helfer läuft mit hastig übergeworfenem OP -Kittel und einem Eimer in der Hand vorbei. Es sieht sehr dramatisch aus. Schließlich geht es dem Sennenhund besser, und Dr. Lenzke bittet uns in den Behandlungsraum. Er greift Bulli in die Leiste. »Wir brauchen den Laborbefund leider gar nicht mehr abzuwarten. Der Lymphknoten ist sehr stark geschwollen.«
    Er sieht mich an, und ich weiß schon, was er sagen will, und dann sagt er es.
    »Okay«, antworte ich, »nehmen wir an, ich bin unvernünftig. Was könnte man theoretisch noch tun?«
    »Wir können eine Drainage legen und hoffen, dass dann auch das Bein abschwillt.«
    »Wie viel ist maximal drin? Ich meine, könnte Bulli noch fünf gute Tage haben? Oder drei?«
    »Gut möglich. Das können auch noch zehn Tage werden. Kommt darauf an, ob das Bein abschwillt. Aber nach drei Tagen muss ich die Drainage wieder rausnehmen, sonst gelangen Keime in die Bauchhöhle, und dann …«
    In diesem Moment kommt ein Arzthelfer ins Zimmer. Noch ein Notfall ist eingeliefert worden. Ein überfahrener Hund. Dr. Lenzke entschuldigt sich. Jiminy, Bulli und ich setzen uns wieder ins Wartezimmer. Das heißt, Bulli steht, weil er mit der Beule am Bauch ja nicht sitzen kann. Er lehnt sich an mein Bein und röchelt vor sich hin. Selbst wenn das Bein wieder abschwillt, wird es ihm nicht wirklich gut gehen. Ich streichle über den entenförmigen Fleck auf seinem Rücken. Jiminy sieht mich an, sagt aber nichts. Mir fällt ein, dass ich mit Bulli im letzten Jahr kaum gespielt habe. Erst kam der Umzug, und dann hatte ich mir eingebildet, zusätzlich zumeinen ganzen anderen Verpflichtungen auch noch eine Reisereportage schreiben zu müssen. Und nun stirbt mein Hund, und ich war das ganze letzte Jahr überarbeitet, gereizt und überhaupt unausstehlich.
    »Bulli hat doch die ganze Zeit mit den Handwerkern gespielt«, sagt Jiminy.
    Das stimmt zum Glück. Bulli ist völlig vernarrt in Handwerker. Besonders, wenn sie in Bodennähe arbeiten, sodass er sich immer wieder auf sie stürzen kann. Deswegen war das letzte Jahr mit den ganzen Renovierungsarbeiten eigentlich gar nicht so schlecht für ihn. Am anderen Ende des Wartezimmers geht meine Lieblingstierarzthelferin Frau Parton vorbei. Sorgsam trägt sie einen völlig verfetteten Kater auf dem Arm. Bulli versucht, sich neben mich zu setzen, muss aber gleich wieder aufstehen. Nach einer Stunde kommt Dr. Lenzke aus dem OP zurück, und wir gehen wieder in den Behandlungsraum. Ich räuspere mich.
    »Ist vielleicht doch besser, wenn Bulli heute schon eingeschläfert wird.«

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    3
Familienbande
    »Es ist heutzutage leicht zu ignorieren, dass wir zu den Tieren gehören und ihnen verpflichtet sind. Es ist bequem, politisch gewollt und allgemein verbreitet. Außerdem ist es falsch.«
    (Jonathan Safran

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