Anständig essen
genauso verzweifelt, wie es der Nobelpreisträger in dieser Situation tun würde. Bis heute wird darüber gestritten, ob die psychischen Eigenschaften der Tiere im Wesen oder nur im Grad von unseren verschieden seien. Aber das habe ich mich bei meinen verschiedenen Lebenspartnern auch jedes Mal gefragt, ohne zu einer befriedigenden Antwort zu kommen.
Womöglich ist auch die Grenze zwischen Instinkt und Vernunft nicht so eindeutig, wie mancher gern glauben möchte. Wenn man im grünen Atlantik so vor sich hin schwimmt und plötzlich kommt von rechts eine Haifischflosse mit großer Geschwindigkeit auf einen zu, dann macht es wohl kaum einen Unterschied, ob man ein Mensch oder eine Robbe ist. Die Gedanken, die einem dann durch den Kopf schießen, sind womöglich garkeine Gedanken, sondern bloß ein klaffendes Entsetzen, in das man hineinfällt. Dorothee Frank beschreibt in ihrem Buch »Menschen töten« die Minuten kurz vor der Hinrichtung des Ehepaars Ceauçescu: »Als Soldaten dem betagten ›Conducator‹ und seiner Frau die Hände auf dem Rücken fesseln, um die beiden zur Erschießung auf den Hof der Kaserne von Targoviste zu führen, beginnt Elena Ceauçescu mit ihrer dünnen alten Stimme zu zetern. Die Laute erinnern an die eines rattenhaften Tieres, das in Todesangst protestiert und gleichzeitig die Sinnlosigkeit seiner Abwehr begreift; der Tonfall geht durch und durch, man kann sich eines irritierenden Gemisches aus Ekel und Mitleid nicht erwehren.«
Welche psychischen Unterschiede auch immer zwischen uns und anderen Tieren existieren – in Todesangst treten sie am allerwenigsten zutage. Es ist wichtig, die Ähnlichkeiten zu erkennen. Es ist wichtig, zu wissen, dass wir Tiere sind. Wir töten viel leichter etwas, das sich von uns unterscheidet, als etwas, das uns ähnlich ist.
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4
Februar – immer noch alles Bio
»Gerechter Gott! Aus wie vielen Marterstunden der Tiere lötet der Mensch eine einzige Festminute für seine Zunge zusammen!«
(Jean Paul)
Vorgabe: Wenn irgend möglich, kaufe ich meine Bio-Produkte nur noch in Bio-Läden.
Es hat weiter geschneit, auch im Februar. Der Schnee liegt meterhoch, beginnt aber jetzt zu tauen, und alle halbe Stunde donnert eine Lawine vom Dach. Jiminy Grille sitzt mir am Kaffeetisch gegenüber und beobachtet mit einem Fernglas das Vogelhäuschen, das die seltenen Vögel anlocken soll. Gestern ist ein Kleiber mit Karacho gegen die Glasscheibe der Terrassentür geflogen. Da konnten wir ihn dann von ganz Nahem betrachten. Ein dünner Blutfaden rann aus seinem Schnabel.
»Eigentlich macht es überhaupt keinen Sinn, dass du dich bio ernährst«, sagt Jiminy, wendet sich mir zu und sieht über das Fernglas hinweg auf den Keksteller, in den ich gerade greife. »Du frisst genauso wahllos alles in dich hinein wie vorher.«
»Ja«, gebe ich zurück, »aber es schmeckt viel schlechter. Diese Öko-Kekse sind ja wie eine Schaufel Sand im Mund.«
»Warum frisst du nicht einfach weniger?«
Ich erwähne, dass Professor Dr. Bernhard Grzimekbei allen Tierarten immer von essen gesprochen hat, nie von fressen.
»Ich habe gedacht, wenn du erst mal damit anfängst, auf die Herkunft und Herstellung deiner Lebensmittel zu achten, achtest du automatisch auch darauf, was du isst«, sagt Jiminy enttäuscht und stellt das Fernglas auf das Fensterbrett. »Mit Obst und Gemüse kämst du sowieso viel billiger weg. Aber du musst dir ja jeden Tag zwei Tafeln Schokolade und die teuren Fertiggerichte reinhauen.«
Jiminy begreift es einfach nicht. Wenn sie keine Schokolade isst, dann isst sie eben mal keine Schokolade. Wenn ich keine Schokolade esse, dann kann ich nicht mehr arbeiten. Ich kann auch nicht lesen oder fernsehen. Ich kann nicht einmal mehr die Fassung bewahren.
»Du hast eben keine Ahnung«, antworte ich.
»Außerdem hast du noch nie so viel Fleisch gegessen wie jetzt«, sagt Jiminy vorwurfsvoll.
»Na, ich muss es doch ausprobieren. Ich will ja darüber schreiben. Da muss ich doch wissen, ob Bio-Fleisch jetzt wirklich besser schmeckt.«
(In Wahrheit habe ich natürlich bloß Torschlusspanik, weil ich ja ab März für mindestens sechs Monate überhaupt kein Fleisch mehr essen darf.)
»Und?«
»Ja klar, schmeckt deutlich besser, obwohl das natürlich auch immer eine Frage der Zubereitung ist.«
»Dann weißt du es ja jetzt und brauchst nicht noch mehr Fleisch in dich reinzustopfen. Hast du eine Ahnung, wie viel Wasser man braucht, um ein Kilogramm Rindfleisch zu
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