Anständig essen
600-Kilo-Pitbull.
Am nächsten Tag knote ich eine acht Meter lange Pferdelonge an einem Baum fest, der gegenüber von Ronnys Garten steht, und hänge den Karabinerhaken in Bonzos Halfter ein, bevor ich ihn an der Stelle vorbeiführe. Zack, reißt er mir den Strick aus der Hand und galoppiert los. Die Longe saust hinter ihm her. Während sie sich strafft, habe ich plötzlich das Gefühl, einen entsetzlichen Fehler begangen zu haben. Und wenn ihm der Ruck nun die Nase zertrümmert? Oder Bonzo überschlägt sich und bricht sich das Genick? Ich bin fast erleichtert, als er, ohne sein Tempo im Geringsten zu drosseln, in Ronnys Garten hineindonnert. Ich hebe die Longe auf. Der Karabinerhaken hat sich aufgebogen wieBlumendraht. Das ist kein Maultier, das ist ein Panzer.
Am nächsten Tag fahre ich mit meinem Pferdeanhänger auf einem Gestüt vor. In den Boxen stehen lauter teure Dressur- und Springpferde. Die jungen Mädchen, die hier den Beritt übernehmen, begrüßen Bonzo mit großem Hallo. Er kommt in eine Box, in der er sich sofort über das Heu hermacht. Als ich gehe, sieht er nicht einmal hoch. Wohl ist mir trotzdem nicht dabei, ihn für Wochen in fremde Hände zu geben. Im Fernsehen laufen die ganze Zeit Berichte über Misshandlungen in katholischen Internaten. Ich steige wieder ins Auto und lasse den Motor an. Fast im selben Moment kommt aus dem Stall ein schriller, lang gezogener, gurgelnder Schrei, wie ihn nur ein Maultier zustande bringt. Eine Mischung aus rostiger Wasserpumpe und Feuersirene. Als ich in den Stall laufe, versucht Bonzo gerade, aus dem Fenster zu klettern. Er bekommt eine neue Box – ohne Fenster. Sein jämmerliches Geheule begleitet meine Abfahrt.
Zu Hause wartet Jiminy schon aufgeregt auf mich. Im Gartenteich ist eine Schlange, eine widerlich dicke Ringelnatter. Sie allein kann nicht schuld daran sein, dass letzte Woche etwa 100 Fische von einem Tag auf den anderen verschwunden sind. Trotzdem hätte ich nicht übel Lust, ihr den langen Hals umzudrehen. Meine armen Fische. Ich bin nun einmal parteiisch. Die Tiere, mit denen ich zusammenwohne und für die ich die Verantwortung trage, gehen vor. Wurmrechte schön und gut, aber zweimal im Jahr werden die Kater entwurmt. Und es ist mir auch egal, ob eine Ringelnatter oder ein seltener Kranich meine Billig-Kois fressen will – wer das tut, kriegt Ärger.
Jiminy und ich hüpfen mit Keschern um den Teichherum.
»Da ist sie … da unterm Strauch, … da … nee, ich kann da nicht ran … mach du das … igitt … igittigittigittigitt …«
Das Reptil gleitet in den Teich und in eleganten Schwüngen durch das Wasser. Ich erwische sie mit dem Kescher.
»Pass auf … die krabbelt raus … die krabbelt raus … Äähh, nicht zu mir … nicht zu mir … tu die woandershin … die krabbelt raus …«
Ich schüttle den Kescher immer wieder und die Natter fällt dann jedes Mal zurück auf den Grund des Netzes, aber sie ist gymnastisch ungeheuer begabt, und wenige Sekunden später lugt sie schon wieder über den Rand. Als ich den Kescher an Land gebracht habe, muss ich mich mit beiden Füßen auf die Öffnung des Netzes stellen, damit es ihr nicht gelingt, sich dort herauszudrücken. Zum Glück trage ich meine dicken australischen Blundstone-Stiefel.
»Und jetzt?«, sagt Jiminy. »Ich fass die nicht an.«
»Nee«, sag ich, »ich auch nicht.«
Jetzt, wo die Schlange im Netz ist und verängstigt nach einem Ausgang sucht, ist mein Zorn verraucht. Exekutieren will ich sie nicht mehr.
Jiminy bringt einen Pferdeputzkoffer aus Plastik, weigert sich aber, mitzuhelfen, die Schlange dort hineinzusetzen.
»Nä, ich fass die nicht an.«
»Dann mach wenigstens den Plastikkoffer auf.«
Ich schüttle noch einmal wie wild den Kescher, bis der Natter richtig schwindlig sein muss, und dann schlenz ich das Netz in den Pferdeputzkoffer und knall den Deckel zu. Der größte Teil des Netzes und der Kescherstiel sind natürlich noch draußen, aber Jiminy und ichkönnen die Schlange jetzt im Auto transportieren, ohne sie anfassen zu müssen. Fragt sich bloß wohin. An einen Teich bringe ich sie auf keinen Fall. Ich will nicht diejenige sein, die den Tod ganzer Generationen von Fröschen und Kröten verschuldet. Schließlich fahren wir an einen Ort, der für eine Ringelnatter wohl eher mittelprächtig ist. Mitten in einen Wald hinein. Der nächste See ist mindestens zwei Kilometer entfernt. Aber wie ich es auch drehe und wende, wohl fühle ich mich bei der ganzen Sache
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