Anständig essen
1500 Schweine schweben pro Stunde, am Band hängend, an ihm vorbei. Er hat also gerade mal 2,4 Sekunden, um einem Tier die Schlagader zu öffnen. Da kann man schon mal ein Blutgefäß verfehlen oder auch ein ganzes Schwein übersehen. Eigentlich erstaunlich, dass die Fehlerquote beim Schweineschlachten nur bei einem Prozent liegt, was hochgerechnet auf die rekordverdächtigen 56 Millionen Schweine, die 2009 in Deutschland geschlachtet worden sind, aber immer noch mehr als 500 000 Individuen bedeutet. 500 000 Schweine, die jedes Jahr im Brühbad wieder aufwachen und miterleben müssen, wie sie mit heißem Wasser übergossen werden. Das sind 1370 Schweine, die Tag für Tag in Deutschland auf diese grauenhafte, barbarische Art zu Tode kommen. Theoretisch stirbt in jeder einzelnen Minute dieses Tages gerade ein Schwein den Foltertod. Praktisch auch. Erlaubt ist das natürlich nicht.
Kontrolliert wird aber auch nicht. Man könnte es vermeiden. Es gibt spezielle Geräte, die den Blutentzug und damit den Tod eines Schweins sicher feststellen. Die würden allerdings Geld kosten.
Die Tierschutzorganisationen rufen wahrscheinlich wieder zu Unterschriftenaktionen und Protesten auf. Die Politiker sollen für bessere Kontrollen sorgen. Das haben die Tierschutzorganisationen schon 2001, kurz nach dem Verbot des Rückenmarkzerstörers bei der Rinderschlachtung, gefordert, als das Thema zum ersten Mal durch die Presse ging. Hat schon damals nichts genützt. Dabei gäbe es ein einfaches, garantiert funktionierendes Mittel, diese Grausamkeiten schnell zu beenden. 60–88 kg Fleisch verbraucht jeder Bundesbürger im Jahr (je nach Quelle). In Hähnchen gerechnet sind das ziemlich viele Tiere, die man jährlich vor Gefangenschaft, Misshandlung und Folter-Schlachtung bewahren könnte, ohne einen einzigen Protestbrief schreiben zumüssen.
Was die Fernsehberichte nämlich nicht erwähnt haben, ist die besonders mangelhafte Betäubung bei der Schlachtung von Geflügel. Allein 600 Millionen Hühner und Hähne werden jedes Jahr in Deutschland geschlachtet und zuvor mit den Köpfen durch ein Elektro-Wasserbad gezogen. Welcher praktisch veranlagte Mensch sich das wohl einmal ausgedacht hat? Hört mal her, ich hab ’ne Super-Idee: Wir hängen die lebendigen Hühner einfach an den Füßen auf und ziehen sie mit den Köpfen durchs Wasser. Und durch das Wasser jagen wir dann Strom.
Da die Hühner – und für Enten und Puten gilt das natürlich auch – panisch flattern, kommen nach Schätzungen der Albert-Schweitzer-Stiftung mindestens 20 Millionen Tiere unzureichend oder gar nicht betäubt aus dem Wasserbad und müssen ihren Kehlschnitt bewusst miterleben. Die Geflügellobby, die Schweinemäster, die Schlachthofbetreiber, die Politiker sind die Bösen und sollen etwas ändern. Aus irgendeinem Grund kommt kaum jemand auf die naheliegende Idee, selbst die Verantwortung zu übernehmen und einfach kein Fleisch mehr zu essen. Das ist, als würde man einem Ertrinkenden zusehen, sich darüber aufregen, wie jemand so herzlos sein konnte, ihn ins Wasser zu schubsen, und dann weitergehen, ohne ihn herauszuziehen.
»Weißt du noch, wie alle so erstaunt und empört waren, als der Gammelfleischskandal aufgedeckt wurde?«, sage ich zu Jiminy. »Oder als das mit dem Rinderwahn rauskam – dass da wissentlich kranke Rinder geschlachtet und an die Supermärkte verkauft worden sind?«
»Doch nicht wissentlich«, sagt Jiminy, »die haben zuerst bloß nicht gewusst, was ihre Rinder haben.«
Jiminy hat ja keine Ahnung, wie schlecht die Welt ist.Aber ich.
»Oh doch«, trumpfe ich auf. »Als 1988 in Großbritannien ein 100 %iger finanzieller Ausgleich für angesteckte Tiere beschlossen worden war, haben sich die gemeldeten Fälle sofort verdoppelt. Es ist wohl nicht allzu kühn, daraus zu folgern, dass vorher die Hälfte aller BSE -kranken Rinder auf den Markt gelangt ist. Die ganzen Fleischfresser haben allen Ernstes geglaubt, dass eine Branche, die ihre Profite damit macht, Tiere – hust – zu quälen, sich ihnen gegenüber dann – husthust – plötzlich anständig verhält.«
»Vor zwei Monaten warst du auch noch Fleischfresser«, merkt Jiminy an.
Ich unterbreche das Gespräch für einen mehrminütigen Hustenanfall, bevor ich fortfahren kann.
»Fleisch und Kriminalität, das gehört eben einfach zusammen. Oder hat du schon mal was von einer Salatmafia gehört?«
»Na klar«, sagt Jiminy, »gibt es bestimmt auch.«
»Glaub ich nicht. Aber es gibt
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