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Anständig essen

Anständig essen

Titel: Anständig essen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Duve
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Mein Mitleid mit Keiko lässt gerade rapide nach. Vielleicht hätte man die 20 Millionen Dollar doch besser anlegen können. Andererseits könnte man die Sache natürlich auch aus der Sicht kleiner Fische sehen. Bevor das Blauwalbaby groß geworden wäre, hätte es 200 000 Fische gefressen. Ein Pottwal haut sich pro Tag manchmal 4 Millionen Krillkrebse rein. Und zwar beißt er sie nicht tot, sondern macht einfach das Maul auf und saugt sie ein, sodass die lebendigen Krebse nahezu unversehrt im Magen ankommen und dort langsam in Magensaft ersticken und verätzt werden. Das ist doch auch nicht viel besser, als wenn Käpt’n Iglo seinen gefangenen Fisch langsam auf einer Schicht von Eis ersticken lässt oder die Riesengarnelen in einen Topf mit heißem Wasser wirft. Menschen, Tiere – alle gleich widerlich. Ich glaube, ich mag bloß Pflanzen. Vielleicht sollte ich mir ein viktorianisches Glashaus anschaffen, und darin verschiedene Farnarten kultivieren. Vielleicht habe ich aber auch bloß wieder einen Fieberschub.
    Seit Wochen bin ich mit Bonzo, meinem Maultier, nicht mehr ausgeritten. Erst lag so viel Schnee, dann hatte ich Keuchhusten. Ich bin immer noch etwas schlottrig auf den Beinen, und ehrlich gesagt wird mir bei dem Gedanken, mich demnächst wieder auf Bonzo zu setzen, ganz schön mulmig. Erst im letzten Jahr habe ich angefangen, ihn einzureiten. Nach der Bonbon-Methode. Immer wenn er irgendetwas richtig machte, bekam er dafür ein zylinderförmiges Pferdebonbon aus gepresstem Getreide. Anfangs zeitigte das sehr schöne Erfolge. Schonnach zwei Wochen ritten wir die Straße herunter zum benachbarten Reitstall, wo wir uns in der Reitbahn tummelten. Lästig war höchstens, dass Bonzo ständig selbst entschied, wann er etwas gut gemacht hatte, und sich dann zu mir umdrehte, um die Belohnung einzufordern. Die Sache ging schief, als jemand mit einem Futtereimer an der Reitbahn vorbeikam. Bonzo wollte zum Futtereimer, ich wollte weiter geradeaus, er zerrte am Zügel, ich knuffte ihm die Hacken in den Bauch. Zwei Sekunden später lag ich im Sand, den Abdruck eines Hufes auf dem Hintern und über mir ein tobendes und bockendes Maultier, das völlig außer sich vor Wut mehrmals über mich hinwegtrampelte. Als ich mich endlich aufrappeln konnte und, von zwei Seiten gestützt, aus der Bahn humpelte, sagte jemand ziemlich laut: »Metzger!«
    Seitdem reite ich ihn nicht mehr wirklich gern. Ich trau ihm einfach nicht. Außerdem reißt Bonzo sich neuerdings los, wenn ich ihn an einem Strick führe. Immer an derselben Stelle, sodass ich jedes Mal vorbereitet bin. Verhindern kann ich es trotzdem nicht. Dann galoppiert er davon, entweder in einen frisch angesäten Acker hinein oder in den Garten meines Nachbarn Ronny, dreht dort ein paar Runden und galoppiert zu mir zurück. Danach kann ich ihn anstandslos nach Hause bringen. Es ist, als wolle er bloß mal kurz klarstellen, dass ich ihm nichts zu sagen habe.
    Diesmal befestige ich eine Metallkette am Halfterstrick, eine sogenannte Hengstkette. Es gibt zwei verschiedene Benutzungsmöglichkeiten. Üblicherweise lässt man die Kette ein Stück oberhalb der Nüstern über den knochigen Nasenrücken laufen, wo sie bei Zug unangenehmen Druck ausübt. Na ja, sagen wir doch, wie es ist: Wenn man damit einmal kräftig ruckt, tut das richtig weh. Zum Vergleich kann man sich ja mal eine Eisenkette übersSchienbein legen und daran reißen. Die Kette unterhalb des Mauls in der weichen Kinngrube entlanglaufen zu lassen, soll noch schärfer wirken, weswegen diese Methode nur von Profis angewandt werden darf, die wissen, was sie da tun. So mahnt es jedenfalls eines meiner Pferdebücher an. Ich lasse die Kette oben und unten entlanglaufen. Ich weiß auch, was ich tue. In den letzten zwei Wochen hat Bonzo dreimal Ronnys Garten verwüstet. Auf dem Weg zur Weide müssen wir leider daran vorbei. Ich weiß nicht, wie oft ich noch auf Nachsicht hoffen darf.
    Wir nähern uns Ronnys Garten. Bonzo reißt an der Kette, als gebe es gar keine, und als ich mit aller Kraft gegenzuhalten versuche, breche ich mir bloß einen Finger. Na toll, jetzt habe ich Keuchhusten, eine doppelte chronische Achillessehnenentzündung, Lymphstau und einen gebrochenen Finger. Bonzo trampelt bereits wieder durch die Rabatten. Manchmal tritt er versehentlich auf den Strick und verpasst sich selbst einen unglaublich brutalen Kettenruck auf der Nase – was ihn aber auch nicht beeindruckt. Das ist kein Maultier, das ist ein

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