Anständig essen
nicht. Entweder habe ich einen ungünstigen Ort ausgesucht und verursache dadurch womöglich den Hungertod der Ringelnatter, oder sie schlägt sich durch, und ich habe damit automatisch den Tod vieler Frösche, Fische und Eidechsen auf dem Gewissen. Komischerweise scheint es viel einfacher zu sein, etwas Böses zu tun, als etwas Gutes. Das Böse, das man beabsichtigt, trifft prompt ein. Aber gute Absichten bedingen nicht notwendigerweise gute Ergebnisse. Als ich dem Piepsi drei Hühner zur Gesellschaft gekauft habe, musste ich kurz darauf in einem Zeitungsartikel lesen, dass die männlichen Küken in den Zuchtbetrieben für Legehennen gleich nach dem Schlüpfen getötet werden. Der Piepsi sitzt nämlich inzwischen in einem Gehege und mit ihm die neuen Hennen. Viele Leute denken, die männlichen Küken würden für den Grill gemästet, aber dafür hat man andere Zuchtrassen, die schneller wachsen. Die flauschigen kleinen gelben Hahnenküken aus der Legehennenzucht tötet man mit Gas, oder sie rutschen per Fließband in eine Art überdimensionierte Moulinex. Für jedes Huhn, das ich gekauft habe, ist ein Bruderküken lebend gehäckselt worden. Und es war mein Kauf, der die Rotorklingen dieses Küken-Zerkleinerers in Bewegung gesetzt hat. Außerdem hat sich der Piepsi über die neuen Hennen noch nicht einmal richtig gefreut, sondern fandes viel wichtiger, jeder einzelnen erst mal tüchtig auf den Kopf zu hacken.
Als Jiminy und ich Bonzo drei Tage später auf dem Gestüt besuchen, benimmt er sich, als hätte er mich noch nie gesehen. Er steht in seiner Box, frisst desinteressiert eine Wurzel aus meiner Hand und schaut an mir vorbei auf die Stallgasse. Die Pferdemädchen erzählen, dass er vormittags auf die Weide darf, und dass ein weißes Pferd ihn sofort adoptiert hat und gegen die anderen in Schutz nimmt. Sie sagen, Bonzo fühle sich hier sehr wohl. Ich versuche eines seiner langen Ohren zu kraulen. Das hat er immer so gern gehabt. Bonzo zieht den Kopf zur Seite und starrt weiter an mir vorbei. Er wirkt nicht direkt apathisch, eher autistisch.
Ich sitze in der Küche und lese »Die Zeit«. Am 20. April ist die Bohrinsel Deepwater Horizon explodiert. 800 000 Liter zähflüssiges Rohöl laufen seitdem Tag für Tag in den Golf von Mexiko. Jiminy kocht Tee. Plötzlich erstarrt sie mitten in der Bewegung und sieht mich verzagt an.
»Sag mal, wenn wir dann ab Mai keine Milchprodukte mehr essen dürfen, dann heißt das ja auch, dass ich keine Sahne mehr in den Tee tun kann …«
Jiminy kommt aus dem Ammerland. Das ist nicht weit von Ostfriesland, und Tee trinken ist da ganz furchtbar wichtig. Schwarzer Ostfriesentee mit Kluntjes und Sahne.
»So sieht es aus«, sage ich, schlage den Wirtschaftsteil um und streiche ihn glatt, »aber es zwingt dich ja niemand mitzumachen. Wenn es dir egal ist, dass bei der Produktion von Fleisch und Milchprodukten 18 Prozent aller Treibhausgasemissionen entstehen, dann mach doch einfach so weiter wie bisher.«
»Es geht mir ja nur um den Tee«, jammert Jiminy, »alles andere schaff ich. Aber ohne Sahne im Tee bin ich kein Mensch.«
»18 Prozent der gesamten Emissionen«, erwidere ich kalt, »das ist schlimmer als Autofahren und Flugreisen zusammen.«
Ehrlich gesagt, habe ich es zu Beginn meines Selbstversuchs selber noch gar nicht so richtig auf dem Zettel gehabt, dass Frikadellen und Uralt-Gouda zur Klimaerwärmung beitragen könnten. Klar, hatte ich schon mal davon gehört – ein Ohr rein, anderes gleich wieder raus. Inzwischen lese ich Artikel zu diesem Thema sehr aufmerksam. Wie es aussieht, sind sich jetzt so ziemlich alle Wissenschaftler darüber einig, dass die Tierhaltung zur Lebensmittelerzeugung eine der Hauptursachen für unsere schlimmsten Probleme ist – Welthunger, Umweltverschmutzung, Bodenzerstörung, zu hoher Wasserverbrauch, Verlust der Artenvielfalt und insbesondere Klimawandel. Es geht nicht bloß um die Güllepfützen vor der Mastanlage, sondern vor allem um den Regenwald, der Co 2 speichern könnte und der abgeholzt oder abgefackelt wird, um Futter für die Masttiere der Industrienationen anzubauen. Auch wenn es einem egal ist, dass Schweine, Hühner und Kälbchen in Schlachtanlagen landen – sind ja schließlich bloß Tiere und schmecken gut –, so hat man vielleicht doch Skrupel, diesen schönen Planeten so ohne jeden Bremsversuch gegen die Wand zu fahren. Der Weltklimarat (IPCC ) schlägt vor, die Einwohner der Industrieländer sollten sich vegetarisch
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