Anständig essen
ist bzw. war ein Sussex-Huhn. Jetzt hängt ihre Gurgel frei in der Luft und Blut sickert zwischen den weißen Federn hervor. Vom Kopf ist weit und breit nichts zu sehen. Von den anderen beiden Hühnern auch nichts. Eines finde ich schließlich bei meinem Nachbarn, wo es mit einem irren Gesichtsausdruck auf dem Boden hockt und sich von den Nachbarhühnern picken lässt. Das andere bleibt für immer verschollen. Ich schließe das traumatisierte Huhn im Hühnerstall ein. Dann schnappe ich mir Bettys immer noch warme Überreste und beginne, sie zu rupfen. Bis auf den fehlenden Kopf und einen tiefen Biss in Rippenhöhe ist der Körper noch völlig in Ordnung. Betty ist das erste Huhn, das ich rupfe, und ich bin erstaunt, wie schnell und einfach so etwas geht. Allerdings bleiben am Schluss einzelne haarfeine Federn übrig, die sich beim besten Willen nicht packen lassen. Zum Glück weiß meine Nachbarin Beate, was zu tun ist. Sie gießt Spiritus auf eine Kehrichtschaufel, zündet es an und fackelt Betty die restlichen Federchen ab. Außerdem schimpft sie die ganze Zeit, weil ich das Huhn noch essen will.
»Das ist nicht gut. So ein Fuchsbiss, das ist wie eine Impfung. Wenn der krank war, hat er seine Bazillen direkt in das Huhn reingeimpft. Das Herz hat ja noch geschlagen, das verteilt sich dann im ganzen Körper.«
»Hast du eine Ahnung, was ein Bio-Huhn in der Größe kostet?«, sage ich. Dabei weiß ich das selber nicht. In der Küche säbelt Beate Betty die Gurgel ab, greift ihr mit geübter Hand in den Schritt und zieht einen Haufen bestialisch stinkender und mit Kot und Körnern gefüllter Darmschlingen und Eingeweide heraus. Kurz durchgespült, dann wandert Betty ins Tiefkühlfach.
Jiminy findet es pietätlos. Ich behaupte, dass ich gleichzeitig traurig sein und Betty essen kann.
»Wenn ich mit einem Flugzeug in einer unzugänglichen Andenregion abgestürzt wäre, würde ich auch zu denen gehören, die ihre toten Mitpassagiere aufessen. Denen tut es nicht mehr weh. Und Betty auch nicht.«
Außerdem ist dies die einmalige Gelegenheit, Fleisch essen zu können, ohne dass ich dadurch für den Tod des Tieres verantwortlich bin.
Am Nachmittag begleitet mich Jiminy nach Fürstenwalde. Bulli muss zur Chemotherapie in die Tierklinik. Zum Glück ist Bulli nicht der Hellste. Selbst im Wartezimmer hat er noch beste Laune, während die anderen Hunde schon bedrückt vor sich hin starren oder sich zitternd an die Beine ihrer Besitzer schmiegen. Bulli hingegen rennt erwartungsvoll in den Behandlungsraum, versucht mit dem Tierarzt zu knutschen, und erst, als er auf den Untersuchungstisch gehoben wird, dämmert ihm allmählich, was gleich wieder passieren wird. Dr. Lenzke schiebt die Spritze ins rechte Vorderbein, er schiebt und bohrt und zieht die Nadel hin und her, aber kein Blut will in die Spritze laufen, die Venen sind von der monatelangen Chemotherapie bereits völlig verätzt.Links auch. Mit schweißnassen Händen halte ich Bullis Kopf. Der riesige Bulldoggenschädel scheint immer kleiner zu werden, die Gesichtszüge fallen in sich zusammen, Bulli röchelt, und die Lefzen hängen herunter wie schwere Gardinen. Erst am Hinterbein findet der Tierarzt eine Vene, in die er spritzen kann.
In Fürstenwalde erledigen Jiminy und ich die ersten Einkäufe für die kommenden Bio-Monate. Bulli döst auf dem Rücksitz. Einen richtigen Bio-Laden haben wir in Fürstenwalde nicht gefunden, deswegen versuchen wir es in den großen Supermärkten. Bei Aldi gibt es nur wenige Bio-Produkte, Tees, die ich entweder sowieso schon habe (Bio-Kräuter) oder auf keinen Fall probieren will (Bio-Früchte), dunkle Finn-Korn-Brötchenhälften, die man in den Toaster schiebt und die dann recht passabel schmecken, ein paar Bio-Joghurts, Bio-Bananen, Bio-Wurzeln, Bio-Tomaten, Bio-Steaks und Bio-Aufschnitt. Also die Rundumversorgung ist hier sicher nicht möglich, eher mal eine Ergänzung. Bei Rewe sieht es schon besser aus. Der erste Bio-Stand ist direkt hinter dem Eingang, bei Obst und Gemüse, und bietet dem modernen Konsumenten die Basics: Orangen, Äpfel, Bananen, Tomaten, Zwiebeln, Kartoffeln. Eine Bio-Kokosnuss ist erstaunlicherweise auch dabei. Das konventionell angebaute, also gespritzte, Obst steht gleich gegenüber, sodass man prima die Preise vergleichen kann. Zum Beispiel ist der Beutel Bio-Orangen für 1,99 Euro zu haben, die mit den vergifteten Schalen kosten 1,79 Euro. Wieso habe ich bisher eigentlich immer die vergifteten gekauft? Weil
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