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Anthologie - Das Lustbett

Anthologie - Das Lustbett

Titel: Anthologie - Das Lustbett Kostenlos Bücher Online Lesen
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Schicksal überlassen und widmete mich jetzt meiner Nachbarin zur Linken, der kleinen dunklen Durchsichtigen von der Terrasse. Wir erörterten die Wirkung der spanischen Fliege auf die Potenz und ich wies darauf hin, daß das beste Ergebnis immer noch einer guten Handarbeit zu verdanken sei, während ich gleichzeitig meine Hand unter der Serviette auf ihrem Schenkel ruhen ließ und sie gelegentlich zu einem Abstecher in höhere Regionen führte. Ich wartete jeden Augenblick auf einen Klaps und einen koketten, vorwurfsvollen Blick. Es kam aber weder ein Klaps noch ein vorwurfsvoller Blick; statt dessen fühlte ich plötzlich eine Hand auf meinem Schenkel, die sich unter dem Schutz der Tischdecke an die Arbeit machte. Ich wurde kühner und ging direkt aufs Ziel los. Unter dem dünnen Stoff des weiten Rocks konnte ich deutlich das Haar des Venusbergs fühlen – die kleine Dunkle hatte nicht einen Fetzen Stoff darunter. Ihre eigene Hand gab auf ihre Weise Antwort, und von Schüchternheit konnte dabei keine Rede sein.
    Plötzlich wurde es stockfinster. »Jetzt ist eine Sicherung zum Teufel«, dachte ich, »aber das soll vielleicht so sein…« Wie sich herausstellte, war diese Finsternis geplant: Sechs Bedienstete betraten nebeneinander den Speisesaal; jeder trug einen siebenarmigen Leuchter, und der weiche, gelbe Lichtschein der Kerzen warf lange Schatten auf dem blendend weißen Tischtuch und spiegelte sich in den Kristallgläsern. Anschließend wurde das Dessert aufgetragen, und einem Raunen der Bewunderung folgte spontaner Beifall.
    Auf drei großen Tellern, innerhalb je eines Kreises aus brennendem Kognak, schwebten drei Skulpturen aus Speiseeis durch das Halbdunkel: drei Kopien von Figuren aus dem berühmten indischen Liebestempel, die sich in kopulierender Ekstase umschlangen und in allen Farben des Regenbogens schillerten. Von irgendwoher erklang Ravels Bolero mit seinem insistierenden, pochenden Rhythmus und schwoll zu immer mächtigerer Lautstärke an. Als das Thema von dem heiser-sinnlichen Ton des Saxophons übernommen wurde, begannen die Figuren langsam zu schmelzen, ineinanderzugleiten, vernichtet zu werden. Drei silberne Hauben, die eine Sekunde lang über die Teller gehalten wurden, löschten das Feuer, worauf wir uns alle sofort mit Feuereifer über die liebenden Paare hermachten.
    Die Stimmung war unterdessen beträchtlich gestiegen. Hände begegneten sich an empfindlichen Stellen unter dem schützenden Tisch, Küsse wurden gegeben und geraubt, Hitze und Spannung stiegen, die zweideutigen Repliken wurden frecher, mehr direkt, und die Augen Graf d’Heilencourts waren nicht mehr fähig, sich von Harriets Dekollete loszureißen. Seine Hand war unter dem Tisch verschwunden, und Harriets zurückgelehnter, hingegossener Haltung konnte ich mühelos entnehmen, daß die Unternehmungen der fünf gräflichen Finger vor ihren Augen Gnade fanden, oder, richtiger ausgedrückt, vor ihrem Lebensauge in dem schimmernden Dunkel zwischen den seidenbestrumpften Schenkeln…
    Das Licht im Raum reichte gerade hin, die Speisen zu erkennen, die man zum Mund führen wollte; meine kleine Spanierin und ich saßen genau zwischen zwei Leuchtern, dort also, wo das Licht am wenigsten Schaden anrichtete oder am meisten nützte – durch sein Fehlen nämlich; wie man das beurteilen will, kommt ganz auf die Betrachtungsweise an.
    Der Bolero nahm noch kräftig an Lautstärke zu, weil ein Instrument nach dem anderen einfiel. In den Ecken mußten etliche Lautsprecher versteckt worden sein, denn die Musik ertönte aus allen möglichen Richtungen. Das Crescendo stieg, und bald würde mit dem letzten Akkord die erlösende Explosion kommen.
    Blinde Musik strömte aus der blinden Höhle. Die Töne erbebten unter dem Druck der Nacht und wurden zurückgeworfen im Schein nach oben blickender Gesichter, zurückgeworfen in die blendende Dunkelheit, um dann wieder hervorzukommen und von neuem mit gereinigten Obertönen zu erscheinen.
    Das Crescendo stieg, und bald würde mit dem letzten Akkord die erlösende Explosion kommen…
    Ffffuuuiiit.
    So, wie man ein brennendes Streichholz auspustet.
    Die erlösende Explosion, die mit dem letzten Akkord kommen sollte, kam nie. Zwei Takte vor dem Ende wurde es plötzlich ganz still.
    Still.
    Dann fing es wieder an. Pianissimo mit einer Flöte, von Anfang an. Der Coitus interruptus war vollbracht, der Absprung in der Kurve gelungen, raffiniert böse, und jetzt kam die Wiederholung mit der Koda.
    Der Masochist

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