Anthrax
Dr. Washington. »Jetzt passen Sie mal auf! Indem wir die Autopsie von Ihnen vornehmen lassen, könnte es uns unter Umständen gelingen, potentiellen Streitigkeiten über irgendeinen angeblichen Vertuschungsskandal seitens unseres Instituts schon im Vorfeld aus dem Weg zu gehen.«
»Das Opfer ist also Afroamerikaner?« erkundigte sich Jack. »Richtig«, bestätigte Dr. Washington. »Und der involvierte Beamte ist ein Weißer. Kapiert?«
»Kapiert.«
»Gut«, führ Dr. Washington fort. »Rufen Sie mich an, wenn Sie soweit sind! Ich stehe Ihnen zur Seite. Das heißt, wir nehmen die Autopsie gemeinsam vor.« Mit diesen Worten wandte er sich um und ging. Jack sah Vinnie an und stöhnte. »Die Obduktion dauert garantiert drei Stunden! Gründlich mag unser stellvertretender Boß ja sein, aber er ist langsamer, als die Polizei erlaubt.«
»Wie ansteckend ist Anthrax?« wollte Vinnie wissen. »Entspann dich!« erwiderte Jack. »Du wirst dich schon nicht anstecken. Soweit ich mich erinnere, ist Anthrax nicht von Mensch zu Mensch übertragbar.«
»Ich weiß nie, wann ich dir über den Weg trauen kann und wann nicht«, beklagte Vinnie sich.
»Manchmal traue ich mir selber nicht über den Weg«, machte Jack sich über sich selber lustig. »Aber in diesem Fall kannst du mir glauben.«
Schweigend beendeten sie die Obduktion von Jason Papparis. Als Jack die Laborproben zusammentrug, um sie nach oben zu bringen, betrat Laurie den Sektionssaal. Jack erkannte sie an ihrer typischen Art zu lachen. Ihr Gesicht war hinter der Bioschutzmaske nicht zu erkennen. Sie war offenbar bester Laune. Neben ihr gingen zwei weitere Gestalten in Schutzanzügen, vermutlich Lou und der FBI-Agent.
Sobald er konnte, huschte Jack hinüber zu dem Tisch, um den sich die Neuankömmlinge gruppiert hatten. Das Lachen war ihnen inzwischen vergangen. »Du meinst, der Junge soll gekreuzigt worden sein?« wandte sich Laurie an Lou. Sie hielt die rechte Hand der Leiche hoch. Jack sah einen riesigen Nagel, der aus der Handfläche hervortrat.
»Ganz genau«, erwiderte Lou. »Und das war erst der Anfang. Sie haben ein Kreuz an einem Leitungsmast befestigt und den Jungen daran festgenagelt.«
»Um Himmels willen!« rief Laurie.
»Dann haben sie versucht, ihn zu häuten«, fuhr Lou fort. »Zumindest vorne.«
»Wie furchtbar!« brachte Laurie hervor. »Glauben Sie, daß er noch gelebt hat, als man ihm das antat?« fragte Tyrrell.
»Ich fürchte ja«, murmelte Laurie. »Er hat sehr stark geblutet. Das weist daraufhin, daß er noch gelebt hat.« Jack trat näher an den Tisch heran. Er wollte Lauries Aufmerksamkeit auf sich ziehen, um kurz mit ihr zu reden. Doch dann sah er die Leiche. Eigentlich hielt er sich für ziemlich abgestumpft, was den Anblick toter Menschen anging – doch die Leiche von Brad Cassidy ließ ihn nach Luft schnappen. Der junge Mann war gekreuzigt und teilweise gehäutet worden, außerdem hatte man ihm die Augen ausgestochen und die Genitalien abgeschnitten. Der ganze Körper war mit Schnittverletzungen übersät. Die Haut des Brustkorbs, die man ihm heruntergerissen hatte, lag auf seinen Beinen. Darauf war ein großes Wikinger-Tattoo zu erkennen. Auf seiner Stirn prangte ein kleines auftätowiertes Hakenkreuz.
»Wieso hat er ein Wikinger-Tattoo?« fragte Jack. »Hallo Jack«, begrüßte Laurie ihn strahlend. »Bist du mit deinem ersten Fall etwa schon fertig? Hat man dir Agent Gordon Tyrrell bereits vorgestellt? Wie war deine Radtour heute morgen?«
»Ganz okay«, erwiderte Jack. Da Laurie ihn gleich mit mehreren Fragen auf einmal bombardiert hatte, beantwortete er nur die letzte.
»Jack düst nämlich immer mit dem Fahrrad durch die Stadt«, erklärte Laurie, an Tyrrell gewandt. »Angeblich kriegt er dadurch den Kopf frei.«
»Ganz ungefährlich ist das nicht, würde ich sagen«, bemerkte Tyrrell.
»Das ist es gewiß nicht«, stimmte Lou ihm zu. »Aber bei dem Verkehrschaos in der Stadt wünsche ich mir manchmal auch, ich hätte ein Fahrrad.«
»Jetzt mach aber mal einen Punkt, Lou!« empörte sich Laurie. »Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein.« Jack kam die Unterhaltung fast ein bißchen unwirklich vor. Es erschien ihm absurd, in Bioschutzanzügen vor einer verstümmelten Leiche zu stehen und Belanglosigkeiten auszutauschen. Deshalb unterbrach er die Diskussion über das Fahrradfahren und wiederholte seine Frage nach dem Wikinger-Tattoo.
»Das hat mit dem arischen Mythos zu tun«, erklärte Tyrrell. »Den haben sich die
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