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Anthrax

Anthrax

Titel: Anthrax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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mürrisch. Er war zwar erst seit fünf Jahren in Amerika, aber es kam ihm doppelt so lang vor. Andererseits konnte er sich noch so gut an den Tag seiner Ankunft erinnern, als wäre es erst gestern gewesen. Er war aus dem kanadischen Toronto eingeflogen, wo er sich drei Tage lang mit der amerikanischen Einwanderungsbehörde herumgeschlagen und letzten Endes nur ein befristetes Visum bekommen hatte.
    Seine Odyssee nach Amerika war äußerst zermürbend gewesen und hatte sich ein ganzes Jahr hingezogen. Angefangen hatte sie in Nowosibirsk in Sibirien, wo er in einem staatlichen Unternehmen namens Vector angestellt gewesen war. Elf Jahre hatte er dort gearbeitet; doch dann war plötzlich die Belegschaft seines Betriebs verkleinert worden, und er verlor seinen Job. Zum Glück hatte er vor seiner Entlassung ein paar Rubel gespart, so daß er schließlich per Flugzeug, Bahn und als Lastwagenbeifahrer nach Moskau gelangt war. In Moskau hatte ihn dann das Schicksal ereilt. Aufgrund der delikaten Beschaffenheit seiner Arbeitsstelle hatte man den FSB (den Nachfolger des KGB) über seinen Antrag auf Ausstellung eines internationalen Reisepasses informiert. Yuri war festgenommen worden und im Lefortovo-Gefängnis gelandet. Nachdem er sich einverstanden erklärt hatte, in einem anderen staatlichen Unternehmen in Sagorsk zu arbeiten, hatte man ihn nach ein paar Monaten aus dem Gefängnis entlassen. Das Problem war allerdings gewesen, daß er in seinem neuen Job keinen Lohn erhalten hatte, zumindest nicht in Form von Geld. Anstelle von Rubeln gab es Wodka und Toilettenpapier.
    Am Abend vor einem Feiertag mitten im Winter hatte er in tiefster Nacht die Flucht ergriffen und war die eintausendsechshundert Kilometer nach Tallin in Estland zum Teil gelaufen und zum Teil getrampt. Die Reise war ein einziger Alptraum gewesen: Er hatte jede Menge Rückschläge, Krankheiten und Verletzungen erlitten, war kurz vorm Verhungern gewesen und hatte entsetzlich gefroren. Ähnliche Qualen mußten die Soldaten der Armeen von Napoleon und Hitler durchgemacht haben.
    Die Esten hatten ihn unfreundlich behandelt, weil er Russe war; einige estnische Jugendliche hatten ihn eines Abends sogar zusammengeschlagen. Trotzdem gelang es Yuri, genug Geld zu verdienen, um sich gefälschte Papiere zu kaufen, mit denen er schließlich einen Job auf einem in der Ostsee verkehrenden Frachter ergattert hatte. In Schweden hatte er das Schiff verlassen und um Asyl ersucht. Zwar hatten die Schweden seinen Asylstatus in Frage gestellt, aber immerhin bekam er eine befristete Aufenthaltsgenehmigung. Er hatte arbeiten dürfen und mit minderwertigen Jobs so viel Geld beiseite gelegt, daß er sich schließlich einen Flug nach Toronto und den Weiterflug nach New York leisten konnte. Als er dann endlich in den Vereinigten Staaten angekommen war, hatte er sich wie der Papst niedergebeugt und den Boden geküßt.
    Während seiner langen, qualvollen Odyssee nach New York war Yuri mehrmals drauf und dran gewesen aufzugeben. Aber er hatte durchgehalten, indem er sich immer wieder die Verheißungen Amerikas vor Augen geführt hatte: Freiheit, Reichtum und ein gutes Leben.
    Ein höhnisches Lachen machte sich auf seinem Gesicht breit. Ein tolles Leben war das! Eher konnte man es als grausamen Scherz bezeichnen. Er fuhr mal zwölf, mal vierzehn Stunden am Tag Taxi, und was er dabei verdiente, reichte gerade so fürs blanke Überleben. Steuern, Miete, Essen und die Krankenversicherungen für sich und die fette Frau, die er hatte heiraten müssen, um an eine Aufenthaltserlaubnis zu kommen, brachten ihn schier um.
    »Sie sollten dem Allmächtigen danken, daß Sie Rußland verlassen konnten«, äußerte Bloomburg nun, der Yuris Gemütsverfassung nicht bemerkt hatte. »Ich habe keine Ahnung, wie die Leute dort überleben.« Yuri antwortete nicht. Er wollte nur, daß dieser aufgeblasene Kerl endlich den Mund hielt. Plötzlich löste sich der Stau auf. Yuri trat das Gaspedal durch. Das Taxi preschte los, Harvey wurde in seinen Sitz gedrückt. Yuri umklammerte das Lenkrad und jagte mit quietschenden Reifen davon. »He!« protestierte Bloomburg vom Rücksitz. »So wichtig, daß ich mein Leben dafür riskieren möchte, ist die Besprechung auch wieder nicht.«
    Yuri näherte sich der nächsten Kreuzung. Die Ampel sprang auf Rot, und er trat auf die Bremse. Der Wagen begann zu schlingern, doch Yuri bekam ihn gekonnt wieder in seine Gewalt. Er lenkte ihn zwischen einem Bus und einem geparkten

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