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Anthrax

Anthrax

Titel: Anthrax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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hartgesottene weiße Jugendliche der Arbeiterklasse mit rasierten Köpfen gewesen, die ärmellose T-Shirts trugen und mit Tattoos übersät waren. Yuri hätte sich denken können, welche Art von Klientel er in der Kneipe antreffen würde. Am Bordstein, direkt vor der offenstehenden Tür, waren ihm etliche blank polierte Harleys aufgefallen, auf denen Nazi-Aufkleber prangten. Er erinnerte sich noch, daß er hin-und hergerissen war, ob er den Laden überhaupt betreten sollte. Seine Intuition sagte ihm, daß Gefahr in der Luft lag; er roch das Unheil beinahe. Die Gäste starrten ihn feindselig an. Nach einem kurzen Augenblick der Unentschlossenheit ging er aus zwei Gründen dann doch das Risiko ein und marschierte entschlossenen Schrittes in die Kneipe. Zum einen befürchtete er, durch einen Rückzieher womöglich eine Verfolgungsjagd zu provozieren, ähnlich wie wenn man vor einem bissigen, aber unentschlossenen Hund davonläuft und gerade dadurch dessen Jagdinstinkt weckt. Zum anderen brauchte er den Wodka wirklich dringend, und alle anderen Kneipen in Ben-sonhurst wären wahrscheinlich mindestens genauso furchterregend.
    Er setzte sich auf einen leeren Barhocker und beugte sich mit aufgestützten Ellbogen über die Theke. Seinen Blick richtete er stur geradeaus, doch kaum bestellte er seinen Drink, sorgte sein Akzent für ziemliche Unruhe. Ein paar Jugendliche mit herablassenden Mienen umzingelten ihn, doch als er gerade befürchtete, gewaltigen Ärger zu bekommen, machten die Skinheads Platz und ließen einen glatt rasierten etwa Ende Dreißig oder Anfang Vierzig Jahre alten Mann vor, den die Jugendlichen zu respektieren schienen. Der Neuankömmling war dunkelblond, groß und schlank. Er trug sein Haar kurz, hatte sich den Kopf aber nicht rasiert; vom Stil her war es eher ein Soldatenschnitt. Wie die anderen Kneipengäste trug auch er ein T-Shirt; doch im Gegensatz zu den anderen war seines sauber, hatte kurze Ärmel und war gebügelt. Oben links auf dem T-Shirt war ein roter Feuerwehrmann-Helm aufgedruckt. Darunter stand: Löschzug Nr. 7. Im Gegensatz zu den Skinheads wies dieser Mann offenbar nur eine einzige Tätowierung auf:
    eine kleine amerikanische Flagge auf dem rechten Oberarm. »Sie kommen uneingeladen, mein Freund«, wandte sich der dunkelblonde Mann an Yuri. »Sie müssen entweder mutig sein oder dumm. Das hier ist ein privater Club.«
    »Tut mir leid«, murmelte Yuri und machte Anstalten aufzustehen; doch der Mann hatte ihm eine Hand auf die Schulter gelegt und ihn wieder auf seinen Hocker gedrückt. »Sie klingen, als wären Sie Russe«, stellte der Mann fest. »Bin ich auch«, gestand Yuri. »Sind Sie Jude?«
    »Um Gottes willen – nein«, platzte es aus ihm heraus. Die Frage überraschte ihn ziemlich. »Leben Sie drüben in Brighton Beach?«
    »Ja«, bestätigte Yuri nervös. Er hatte keine Ahnung, worauf die Unterhaltung hinauslaufen sollte. »Ich dachte, alle Russen in Brighton Beach sind Juden.«
    »Ich nicht«, beteuerte Yuri. Der Mann wußte, wovon er sprach. Die Mehrheit der russischen Emigranten in Brighton Beach waren in der Tat Juden. Das war einer der Gründe, weshalb Yuri so wenige Freunde hatte. Jüdische Organisationen, die ihre aus religiösen Gründen geflüchteten Glaubensbrüder willkommen hießen, gab es jede Menge. Die Juden waren die einzigen gewesen, die Rußland während des kommunistischen Regimes hatten verlassen dürfen, weshalb die russisch-jüdische Gemeinschaft in Brighton Beach zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Sowjetunion bereits relativ groß gewesen war. Doch Yuri hatte man ignoriert; er gehörte keiner Religionsgemeinschaft an. »Höre ich da etwa eine negative Einstellung gegenüber dem jüdischen Glauben heraus?« fragte der dunkelblonde Mann. Yuri ließ seinen Blick durch den Raum schweifen und las einige der Slogans, die auf den T-Shirts der Skinheads prangten. Unter anderem entdeckte er Sprüche wie Der Holocaust ist ein von den Zionisten erfundenes Märchen oder Nieder mit der von Zionisten besetzten US-Regierung. In dieser Situation hielt er es für klug, keinen Hehl aus seiner antisemitischen Gesinnung zu machen. Bis zur letzten russischen Präsidentschaftswahl hatte er sich nie besonders viele Gedanken über Juden gemacht. Im Wahlkampf jedoch hatte er sich von der demagogischen Propaganda des Neofaschisten Wladimir Schirinowski und des Neokommunisten Genady Sjuganow beeinflussen lassen. Aufgrund seiner toska und seines verletzten Nationalstolzes war Yuri

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