Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anthrax

Anthrax

Titel: Anthrax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
Vom Netzwerk:
und obwohl die Einwanderungs-und Einbürgerungsbehörde ihm eine Aufenthaltsgenehmigung ausgestellt hatte, verfügte er immer noch nicht über einen amerikanischen Paß. Zumindest nicht über einen echten. Er hatte sich für viel Geld einen gefälschten Paß anfertigen lassen, der zwar nicht gerade besonders gelungen war; aber er brauchte ihn ja auch lediglich für den Kauf seines Flugtickets. Als echter Patriot hoffte er, auch ohne die korrekten Papiere nach Rußland einreisen zu dürfen, und er hatte mit Sicherheit nicht vor, noch einmal in die Vereinigten Staaten zurückzukehren.
    »Mein Mann und ich sind im vergangenen Jahr nach Estland gereist«, erzählte die Frau. »Es war herrlich. Im Baltikum haben sich die Dinge sehr zum Guten gewendet. Vielleicht können wir sogar irgendwann wieder in unserem Heimatdorfleben.«
    »Amerika ist nicht das Paradies, für das man es der Welt gern verkauft«, entgegnete Yuri.
    »Die Leute hier müssen hart arbeiten«, pflichtete die Frau ihm bei. »Und es gibt jede Menge Diebe, die einem das Geld aus der Tasche ziehen wollen, wie zum Beispiel Anlageberater oder gemeine Immobilienmakler, die einem in Florida ein Stück Sumpfland verkaufen.« Yuri nickte zustimmend. Seiner Meinung nach saßen die eigentlichen Diebe jedoch in der, wie Curt Rogers sie nannte, von Zio-nisten besetzten Regierung. Das empfand er nicht nur im übertragenen Sinne so – der vielgepriesene amerikanische Traum war doch nichts weiter als ein verlogenes Ammenmärchen – sondern auch im wahrsten Sinne des Wortes. Die Bundesbehörden hielten ständig die Hand auf, um ihm fast jeden einzelnen hart verdienten Dollar abzuknöpfen. Und wenn es nicht die Verbrecher aus Washington waren, waren es die Räuber der bundesstaatlichen Verwaltung in Albany oder die Banditen der Stadtverwaltung von Manhattan. Curt zufolge war die gesamte Steuerpolitik verfassungswidrig und dementsprechend absolut illegal. »Ich hoffe, Sie schicken Ihrer Familie Geld nach Hause«, fuhr die Frau fort, ohne zu merken, was ihre Worte bei Yuri anrichteten. »Mein Mann und ich tun das, sooft wir können.«
    »Ich habe in meiner Heimat keine Familie mehr«, gestand Yuri ein bißchen zu schnell. »Dort bin ich vollkommen allein.« Das stimmte allerdings nicht ganz. Er hatte noch eine Großmutter mütterlicherseits, ein paar Tanten und Onkel und etliche Cousins und Cousinen. Sie lebten fast alle in Jekaterinburg, wie Swerdlowsk heute hieß. Außerdem hatte er eine übergewichtige Frau in Brighton Beach. »Oh, das tut mir leid«, die Frau äußerte ihr Mitgefühl. »Ich kann es mir gar nicht vorstellen, keine Familie mehr zu haben. Sie dürfen über die Feiertage gerne einmal bei uns vorbeischauen.«
    »Vielen Dank«, brachte Yuri hervor. »Das ist sehr freundlich.
    Aber ich komme schon zurecht.« Eigentlich hatte er noch mehr sagen wollen, doch plötzlich war ihm die Kehle wie zugeschnürt. Die Unterhaltung hatte gegen seinen Willen Erinnerungen an das schicksalhafte Jahr 1979 bei ihm geweckt, das Jahr, in dem er seine Mutter und seinen Bruder verloren hatte. Er mußte vor allem an den 2. April denken.
    Der Tag fing an wie jeder andere Arbeitstag: Der schrille Wecker riß Yuri aus dem Tiefschlaf. Um fünf Uhr morgens war es so dunkel wie um Mitternacht, denn Swerdlowsk lag etwa auf dem gleichen Breitengrad wie Sitka in Alaska. Der Winter war bereits vorüber, doch der Frühling hatte noch nicht richtig Einzug gehalten. Und wenn die Temperatur in der Einzimmerwohnung beim Aufstehen auch nicht mehr unter null Grad lag, wie beispielsweise während der Monate Februar und März an fast jedem Morgen, so war es trotzdem lausig kalt. Yuri zog sich im Dunkeln an, um Nadya und Yegor nicht zu wecken, die beide erst um sieben Uhr aufstehen mußten. Nadya arbeitete nach wie vor in der Keramikfabrik; Yegor besuchte das letzten Schuljahr, das im Juni endete.
    Nach einem schnellen, aus altem Brot und Käse bestehenden, in der verlassenen Gemeinschaftsküche eingenommenen Frühstück machte Yuri sich in der Dunkelheit auf den Weg zu der pharmazeutischen Fabrik, in der er seit seinem zwei Jahre zuvor gemachten Abschluß der Berufsfachschule arbeitete. In den zwei Jahren war ihm klargeworden, daß die Fabrik nicht das herstellte, was sie herzustellen vorgab. Offiziell lautete sein Auftrag, mikrobiologische Kulturen zur Impfstoffproduktion anzulegen; doch in Wahrheit hatte er mit derartigen Kulturen bis dahin nie zu tun gehabt. Im äußeren Bereich der Fabrik wurden

Weitere Kostenlose Bücher