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Anthrax

Anthrax

Titel: Anthrax Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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der Abendschicht zuständig. Die Trockner hingegen wurden nicht abgeschaltet; sie liefen kontinuierlich weiter, damit die Tagesschicht einen großen Berg der hellgelbbraunen Kuchen weiterverarbeiten konnte. Es dauerte länger, die Kuchen zu trocknen, als sie zu zermahlen. Wie immer begann Yuri den Tag damit, daß er den Bereich um die Feinmahlanlagen mit einem Schlauch abspritzte, aus dem per Hochdruck stark gechlortes Wasser kam. Obwohl die Mahlanlagen versiegelt waren, entwichen kontinuierlich winzige Partikel des Pulvers, und zwar vor allem, wenn die Anlage zwecks Wartung geöffnet worden war. Da schon eine mikroskopische Menge des Pulvers einen Menschen töten konnte, mußten die Anlagen jeden Tag gründlich gereinigt werden – auch wenn sich ohne Bioschutzanzug niemals jemand in deren Nähe wagte.
    Anfangs hatte es Yuri bei der Vorstellung gegraut, im Umfeld eines derart tödlich wirkenden Stoffs zu arbeiten; doch im Laufe der Monate hatte er sich allmählich daran gewöhnt. An jenem 2. April war es ihm nicht in den Sinn gekommen, sich über irgend etwas Sorgen zu machen. Er war wie Solschenizyns Romanfigur Iwan Denissowitsch: Er demonstrierte, über welch ungeheure Anpassungsfähigkeit der Mensch verfügte.
    Als er seine Reinigungspflichten ordnungsgemäß erledigt hatte, rollte er den Schlauch mit Hilfe einer Handkurbel wieder ein. In Nu bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn. Jede noch so kleine Anstrengung verwandelte den undurchlässigen Bioschutzanzug in eine mobile Sauna. Nachdem er die Reinigungsutensilien an ihren vorgesehenen Platz zurückgebracht hatte, ging er in den Kontrollraum und schloß hinter sich die Tür. Eine isolierende Glaswand trennte den Kontrollraum von den Feinmahlanlagen. Wenn die Anlagen in Betrieb waren, herrschte in dem Raum ein ohrenbetäubender Lärm, der ziemlich an den Nerven zerrte.
    Er setzte sich vor das Hauptschaltpult und prüfte die Einstellungen. Alles schien in Ordnung.Die Anlagen konnten angefahren werden. Yuri warf einen Blick in das Kontrollbuch und sehnte sich bereits nach der Frühstückspause um neun Uhr. Auch wenn sie nur kurz war, liebte Yuri diese halbe Stunde. Allein der Gedanke an frischen Kaffee und frisches Brot ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Er fuhr mit seinem behandschuhten Zeigefinger über die Zahlenreihen, um sich zu vergewissern, daß die Feinmahlanlagen während der letzten Betriebsschicht gleichmäßig gelaufen waren. Alles schien in Ordnung, bis auf die Zahlenkolonne mit den Messungen für den Unterdruck im Inneren der Anlage. Nun ließ er seinen Blick über die Seite schweifen und stellte fest, daß der Druck im Verlauf der Schicht allmählich angestiegen war, doch das beunruhigte ihn nicht weiter; der Anstieg war gering gewesen, und die Messungen befanden sich innerhalb der Grenzwerte. Er warf einen Blick auf das untere Ende der Seite, wo der Schichtaufseher die Vorkommnisse der Schicht notierte. Der Mann hatte den leichten Druckanstieg ordnungsgemäß vermerkt und mit dem Hinweis versehen, daß er die Wartungsabteilung benachrichtigt habe. Darunter befand sich ein Vermerk des Wartungsdienstes, den dieser um zwei Uhr nachts abgefaßt hatte. Er besagte kurz und bündig, daß die Anlage geprüft und die Ursache für den leichten Druckanstieg entdeckt und behoben worden sei. Yuri schüttelte den Kopf. Er fand den Vermerk des Wartungsdienstes sonderbar, da die Fehlursache mit keinem Wort erwähnt wurde. Doch vermutlich spielte es keine Rolle. Die Messungen waren immer im Normbereich geblieben. Er zuckte mit den Schultern. Schließlich stand es ihm nicht zu, den Wartungsdienst für den unvollständigen Eintrag zu tadeln. Außerdem war das Problem ja behoben – was auch immer es gewesen sein mochte.
    Da seiner Meinung nach alles in Ordnung war, griff er zum Telefon und wählte die Nummer des Tagesschicht-Aufsehers Wladimir Gergiyev. Während es am anderen Ende der Leitung klingelte, warf er einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor sieben. Bald würden seine Mutter und sein Bruder aufstehen. »Die Feinmahlanlagen sind anfahrbereit, Genosse Gergiyev«, meldete Yuri.
    »Fahren Sie sie an!« erwiderte Gergiyev knapp und legte auf. Eigentlich hatte Yuri seinem Vorgesetzten den seltsamen Vermerk im Kontrollbuch melden wollen, doch dazu hatte dieser ihm keine Zeit gelassen. Er legte ebenfalls auf und überlegte kurz, ob er noch einmal zurückrufen sollte. Leider war Yuri vom Typ eher ein Quadratschädel, der spontane Reaktionen

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