Anthrax
Flecken übersät, ein Andenken daran, daß schon seit mehr als einem halben Jahrhundert tropfende undichte Fahrzeuge dort abgestellt worden waren. In der Luft hing der Geruch von Benzin und Öl. An der einen Wand standen ein uralter Rasenmäher und ein paar Gartengeräte, an der anderen waren neben einer Schubkarre ein paar Ersatzdachpfannen und ein kleiner Bauholzvorrat gestapelt. Nachdem er das Taxi für die Nacht sicher abgestellt hatte, steuerte Yuri mit seinem leeren Flachmann und der halbleeren Wodkaflasche in der Hand auf sein Haus zu. Als er die Hintertür aufschließen wollte, stellte er erstaunt fest, daß sie offen war. Er schob sie auf und sah sich mißtrauisch um. Ein paar Monate, nachdem er das Haus gemietet hatte, war schon einmal bei ihm eingebrochen worden. Bei seiner Heimkehr gegen neun Uhr abends hatte er seine Wohnung völlig verwüstet vorgefunden. Die Einbrecher waren offenbar sauer gewesen, weil sie keine Wertsachen gefunden hatten, und hatten ihren Frust an Yuris wenigen Möbeln ausgelassen.
Er blieb stehen und horchte. In Connies Schlafzimmer lief der Fernseher. Jetzt sah er auch, daß das Portemonnaie seiner Frau und ein paar Verpackungen des benachbarten Fast-food-Ladens mitten auf dem Küchentisch lagen. Yuri war seit fast vier Jahren verheiratet. Er hatte Connie, seine Frau, bei dem Funktaxiunternehmen kennengelernt, für das er gefahren war, als er noch kein eigenes Taxi besessen hatte. Damals war er ziemlich verzweifelt gewesen. Sein Visum lief gerade ab, und es war ihm kaum etwas anderes übriggeblieben, als eine Amerikanerin zu heiraten. Connie war Afroamerikanerin. Als Yuri bei dem Taxiunternehmen angefangen hatte, war sie Mitte Zwanzig gewesen und hatte einen ziemlich gelangweilten Eindruck gemacht. Ein bißchen Abwechslung war ihr ganz gelegen gekommen, und so hatte sie mit dem neu angekommenen Russen herumgeflirtet. Sie behandelte ihn immer ausgesprochen freundlich und hatte ihm die besten Fahrten vermittelt. Yuri hatte sich auch unabhängig von der Notwendigkeit, an eine Aufenthaltsgenehmigung zu kommen, zu Connie hingezogen gefühlt. Als Jugendlicher in der Sowjetunion hatte er Jazz über alles geliebt und die Musik stets mit amerikanischen Schwarzen assoziiert. Mit einer Schwarzen auszugehen übte deshalb einen exotischen Reiz auf ihn aus. In Swerdlowsk hatte er höchstens im Fernsehen mal Farbige zu sehen bekommen, vor allem bei der Übertragung von Sportveranstaltungen, und sie hatten ihn immer fasziniert. Da Yuri sich einsam gefühlt hatte, gefiel ihm der Flirt mit Connie. Bei seiner Ankunft hatte man ihm empfohlen, nach Brighton Beach zu ziehen, doch die russischjüdische Gemeinde hatte ihn links liegengelassen. Schließlich waren Connie und er sich nähergekommen und hatten häufig Jazzclubs in Manhattan besucht, wo Connie lebte. Manchmal waren sie auch in Brooklyn in der Nähe von Yuris Wohnung ausgegangen. Zu dieser Zeit hatte Yuri zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem in Amerika grassierenden Rassismus gemacht, was ihn anfangs ziemlich verwirrte. Er hatte immer geglaubt, daß die Afroamerikaner aufgrund ihrer vielfaltigen Beiträge zur amerikanischen Kultur hochgeschätzt wurden. Bevor Connie und er wiederholt auf der Straße angepöbelt worden waren, hatte er das Wort ›Nigger‹ noch nie gehört. Genauso hatte es ihn überrascht, daß Connies Familie, vor allem ihr Bruder Flash und seine Freunde, nicht viel von ihm hielten. Sie nannten ihn einen ›honky‹, was, wie er erfuhr, ein ebenso abfälliges Wort für einen Weißen war wie ›nigger‹ für einen Farbigen. Mit seiner Heirat löste Yuri zwei Probleme auf einen Schlag, zumindest für den Anfang: Er bekam eine Aufenthaltsgenehmigung, und er war nicht mehr einsam. Leider mußte er bald feststellen, daß Connie nicht die geringste Lust verspürte, eine Ehefrau nach seinen russischen Vorstellungen zu werden. Der Haushalt interessierte sie nicht die Bohne, und sie erwartete, auch weiterhin jeden Abend auswärts essen zu gehen, wie sie es in der Phase ihrer Verliebtheit und vor ihrer Heirat getan hatten. Als Yuri aber feststellen mußte, daß er auf der beruflichen Erfolgsleiter nicht aufsteigen würde, ohne viel Geld in die Auffrischung seiner Kenntnisse als MikrobiologieTechniker zu investieren, und daß er es sich nicht leisten konnte, das Taxifahren an den Nagel zu hängen, war seine Toleranz gegenüber Connies Lebensstil schnell dahingeschwunden. Wenn er nicht Angst um seine Aufenthaltsgenehmigung gehabt
Weitere Kostenlose Bücher