Anthrax
Der Tag hatte ihm ohnehin schon genug Streß beschert, nachdem seine Gefühle dauernd mit ihm Karussell gefahren waren. Mit zittriger Hand nahm er eine eiskalte Flasche Wodka aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein Glas ein. Er stützte sich auf den Küchentresen, nahm einen Schluck von dem eisigen Getränk und musterte angeekelt die fettigen Fast-food-Reste. Im Hintergrund hörte er das dosierte Gelächter einer im Fernsehen laufenden Sitcom. In der Hoffnung, seine zunehmende Wut vielleicht ertränken zu können, genehmigte er sich noch mehr Wodka. Während er sich den eiskalten Schnaps durch die Kehle rinnen ließ, schweifte sein Blick in Richtung Kellertür. Überrascht registrierte er, daß sie offenstand.
»Was, zum Teufel, soll das?« schimpfte er. Normalerweise fluchte er auf russisch, doch durch seine Freundschaft mit Curt und Steve war er inzwischen auch mit englischen Kraftausdrücken vertraut. Verwirrt und zunehmend bestürzt stellte er sein Glas ab und peilte die Tür an. Er war absolut sicher, daß er sie am Morgen geschlossen hatte, bevor er mit seinem Job begann. Morgens und abends verbrachte er immer mindestens eine Stunde in seinem Kellerlabor, um sicherzustellen, daß seine Miniatur-Biowaffen-Produktion reibungslos lief. Mittwochs hatte er seinen freien Tag und fuhr nicht Taxi; da die meisten seiner Nachbarn tagsüber in der Arbeit waren, hatte er am vergangenen Mittwoch von morgens bis abends im Keller geschuftet und seine provisorische Feinmahlanlage aktiviert. Obwohl die Anlage im Vergleich zu denen in Swerdlowsk verschwindend klein war, machte sie einen ungeheuren Lärm.
Die Tür quietschte, als er sie weiter aufschob. Er knipste das Licht an und stieg die Treppe hinab. Auf der Hälfte des Weges blieb er abrupt stehen. Die robuste Tür aus Stahl und Holz, die er speziell für sein Labor angefertigt hatte, war aufgebrochen worden. Jemand hatte mit einer Brechstange die Verschlußspange des Vorhängeschlosses geknackt. Völlig außer sich, stolperte er weiter nach unten. Vor Wut konnte er kaum noch richtig stehen. Er atmete stoßweise durch die zusammengebissenen Zähne und schnaubte laut. Das Labor und sein geplanter Rachefeldzug stellten derzeit den Mittelpunkt seines Lebens dar. Es verschlug ihm den Atem bei der Vorstellung, daß sein Werk womöglich zerstört war.
Hinter der Holztür war die Eingangskammer mit einer Dusche und mehreren Plastikflaschen, in denen sich Chlorlauge befand. An einem Holzhaken hing ein Schutzanzug der höchsten Sicherheitsstufe, den Curt aus der Feuerwache herausgeschmuggelt hatte. Die Gesichtsmaske wurde durch einen mit Preßluft gefüllten Stahlzylinder mit Sauerstoff versorgt. Wenn Yuri im Labor arbeitete, trug er den Anzug wie ein Taucher mit dem Zylinder auf dem Rücken. In der Eingangskammer befanden sich zwei weitere Türen, die beide ähnlich konstruiert waren wie die Eingangstür. Yuri hatte die beiden Türen aus Sicherheitsgründen ebenfalls mit Vorhängeschlössern versehen; sie waren auf die gleiche Weise geknackt wie das Schloß am Eingang. Er riß die linke Tür auf. Dahinter befand sich der Lagerraum, der an zwei Seiten von den Betongrundmauern des Hauses umgeben war. An der dritten Wand stand ein deckenhohes Regal, das mit mikrobiologischen Utensilien wie Petrischalen, Ersatz-Schwebstoff-Filtern, Agar und Gefäßen mit Nährstoffen gefüllt war. Im Rauminneren schien trotz des zerbrochenen Schlosses alles unangetastet. Yuri machte sich auf das Schlimmste gefaßt und steuerte die Tür zum eigentlichen Labor an. Bevor er sie öffnete, knipste er drinnen das Licht an. Erleichtert registrierte er, daß die Luft wie immer von außerhalb ins Laborinnere strömte. Die Hauptventilatoren funktionierten normal. Er spürte die Brise in seinem Haar und auf dem Gesicht. Um auf Nummer Sicher zu gehen, hielt er die Luft an, bevor er das Laborinnere inspizierte.
Die schimmernden Fermentationsanlagen standen direkt vor ihm an der Rückwand des Labors. Die provisorische Haubenkonstruktion befand sich zu seiner Rechten. Sie diente zum einen als Inkubator und verfügte deshalb über eine Wärmelampe und einen Thermostat, zum anderen als Lager für das bereits fertig produzierte einsatzbereite Anthraxpulver und Botulinustoxin.
Seine Werkbank befand sich direkt links von ihm. Auf der Bank waren Gläser aufgereiht, die er zum Kristallisieren des Botulinustoxins verwendete. Hinter der Werkbank standen die Feinmahlanlage und der Trockner für die Anthraxsporen. kein
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