Anthrax
auf die Theke zu. Lou saß auf einem der hohen Barhocker. Er hielt ein Bierglas in der einen Hand und eine Zigarette in der anderen. Jack stupste ihn am Arm. Lou hob den Kopf und sah ihn an. Er wirkte niedergeschlagen. »Du machst keinen besonders glücklichen Eindruck«, stellte Jack fest.
Lou drückte zerknirscht seine Zigarette aus. »Ich bin auch nicht glücklich, weil ich mir Sorgen mache um Laune. Du hast mir heute morgen einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich war fast den ganzen Tag mit ihr zusammen, da konnte ich unmöglich übersehen, daß sie sich irgendwie seltsam verhielt – als wäre sie wegen irgend etwas total aufgekratzt. Als ich schließlich meinen ganzen Mut zusammengenommen und sie gefragt habe, was mit ihr los sei, hat sie nur gelacht und gesagt, sie zieht weg. Möglich, daß sie einen Job in einer anderen Stadt hat? Ihr Gerichtsmediziner seid gefragt, soviel steht fest.«
Jack konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er hatte das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen, wenn er Lou betrachtete, und was er da sah, war jämmerlich. Offenbar hatte der Detective sich mit den gleichen Gedanken gequält wie er. »Lach mich nur aus«, klagte Lou. »Ich habe es nicht besser verdient.«
»He, ich lache dich nicht aus, sondern über uns beide. Weißt du, daß mir genau das gleiche durch den Kopf gefangen ist? Ich habe mir sogar zurechtgesponnen, wohin sie geht: an die Westküste.«
»Im Ernst?« Jack nickte.
»Ich weiß nicht, ob ich mich jetzt besser oder schlechter fühlen soll«, seufzte Lou. »Wenigstens leide ich nicht alleine; aber wahrscheinlich heißt das auch, daß wir mit unserer Befürchtung richtig liegen.«
Jack lehnte sich ein wenig zurück, um Lou besser betrachten zu können. Er glaubte seinen Augen nicht zu trauen. Der Detective war frisch rasiert; seine üblichen schwarzen Bartstoppeln waren nicht einmal andeutungsweise zu erahnen. Sein Haar hatte er mit Gel zurechtgestylt, so daß es stellenweise noch so feucht aussah, als käme er gerade aus der Dusche. Anstelle seiner zerknitterten Sportjacke und der unvermeidlichen zerbeulten Hose trug er einen astrein gebügelten Anzug, ein frisches Hemd und einen neu gebundenen Schlips. Am beeindruckendsten aber war, daß er seine Schuhe extra poliert hatte. »Oho!« staunte Jack. »Im Anzug! Das ist ja ganz was Neues. Du siehst aus wie ein MagazinModel – und zwar nicht wie eins aus euren Branchenblättern True Detective.«
»Normalerweise trage ich ihn nur zu Beerdigungen«, gestand Lou.
»Ein netter Gedanke«, bemerkte Jack.
»Entschuldigen Sie bitte«, wandte sich der Chefkellner an Jack. »Ihr Tisch ist fertig. Möchten Sie sich setzen, oder wollen Sie noch ein wenig an der Theke stehenbleiben?«
»Wir setzen uns«, entschied Jack auf Anhieb. Er wollte dem Zigarettenqualm so schnell wie möglich entkommen. Der Tisch befand sich im hintersten Winke] des Restaurants. Da so viele Tische wie möglich in den Raum gequetscht worden waren, erforderte es einiges Geschick, dort hinzugelangen, ohne jemanden anzustoßen. Jack und Lou hatten kaum Platz genommen, als bereits ein Kellner mit einer eisgekühlten Flasche Champagner und zwei Flaschen des nicht gerade billigen Brunello an ihren Tisch kam. Er machte sich sofort daran, die Champagnerflasche zu öffnen.
»Einen Augenblick bitte!« bremste Jack den Mann. »Sie haben sich im Tisch geirrt. Wir haben noch gar nichts bestellt.«
»Sie gehören doch zu der Gruppe Montgomery, nicht wahr?« fragte der Kellner. Er hatte einen altmodischen Schnauzer und sprach mit spanischem Akzent. Elio’s war zwar ein italienisches Restaurant, aber bekannt für sein kosmopolitisches Personal. »Ja, aber.«, stammelte Jack.
»Die Getränke sind für Sie bestellt«, erklärte der Kellner. Er öffnete die Champagnerflasche, stellte sie zurück in den Eiskübel und entkorkte dann die beiden Weinflaschen. »Sieht nach einer ziemlich guten Sorte aus«, stellte Jack fest. Er nahm eine der Flaschen und studierte das Etikett. »Das ist sogar ein exzellenter Wein«, bestätigte der Kellner. »Die Gläser kommen sofort.«
Jack sah Lou an. »Normalerweise trinke ich immer offenen Wein aus der Karaffe.«
»Ich finde das höchst seltsam«, sagte Lou. »Laurie ist doch eigentlich eher ein sparsamer Mensch.«
»Du hast recht«, stimmte Jack ihm zu. Wann immer sie ausgingen, bestand Laurie darauf, für sich selbst zu bezahlen. Der Kellner kam mit den Gläsern zurück und schenkte ihnen ein. Jack wollte ihn davon
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