Anthropofiction
mein Freund. Mit der Zeit werden sie aufhören, sich über diesen Eskimo zu beunruhigen, dann sollten sie da unten eine echte Wissenschaft haben.« Der erste Mann gähnte und streckte sich. »Und wenn wir in hundert Jahren zurückkommen«, sagte er, »weißt du, wen wir mit einer Kultur vorfinden werden, die wirklich so weit fortgeschritten ist, daß wir ihnen einen Platz in der Zivilisation anbieten können?«
Der zweite Mann nickte. »Natürlich«, sagte er und lächelte.
Der Eskimo bediente sich mit einem weiteren Fisch aus dem Eimer und wanderte zum Fenster hinüber.
Leon E. Stover
Nachwort
Illinois Institute of Technology
Seit der Zeit meines ersten Lehrauftrages habe ich Vorlesungen über Science Fiction gehalten. Die Gewohnheit entstand aus Notwendigkeit.
Wie es sich traf, kam ich an das erste College in den Vereinigten Staaten, das eine Einführung in die Anthropologie als Pflichtkurs einrichtete. Mir gegenüber im Auditorium befanden sich einige hundert Studenten, die größtenteils nicht mit dem Gegenstand vertraut waren. Für sie war Anthropologie ein seltsames Hindernis, das sie überwinden mußten, wenn sie ein Abschlußzeugnis bekommen wollten. Mein Problem war, dies Hindernis für Menschen, die glaubten, daß sie an einem Kurs über Steine, Dinosaurier oder die Fortpflanzung der Goldfische teilnehmen sollten, etwas klarer zu bestimmen.
Ich fand die Lösung, indem ich alle aufforderte, anthropologische Science Fiction zu lesen. Das klappte. Zumindest machte ich sie mit einer spielerischen Behandlung von Gedanken, die ins Gebiet der Anthropologie gehörten, bekannt. Bestenfalls fungierte die Fiktion als Folie, auf der man rein wissenschaftliche Probleme hervorheben konnte.
Ich scheiterte jedoch an der Verantwortung für den Kummer, den unsere Bibliothekare mit den Groschenheft-Serien in den Reserveregalen hatten. Die alten Ausgaben von Astounding, die ich bestellt hatte, wurden wie Werbeexemplare behandelt, die am Ende jedes Semesters weggeworfen wurden.
Während meines einjährigen Urlaubs lehrte ich an der Universität Tokio. Meine japanischen Studenten waren sehr interessiert an SF und fragten mich, ob ich Harry Harrison, einen ihrer Lieblingsautoren, kenne. »Natürlich!« antwortete ich und entdeckte plötzlich die Lösung meines alten Bibliotheksproblemes. Ich schrieb also an Harrys Adresse in Dänemark, und ein Briefwechsel zwischen Snekkersten und Tokio lieferte uns das vorliegende Werk, das sich hoffentlich auch bei den Bibliothekaren behaupten wird, wo meine armseligen Werke mit Magazinen scheiterten. Aber wie dem auch sei, jetzt bin ich an einer technischen Hochschule, wo man SF ernsthafter behandelt.
Wenn ich dieses Nachwort anhänge, führe ich Har rys Idee aus. Er fand, daß ich, wenn ich diese Anthologie zur begleitenden Lektüre meines Einführungskurses machen wollte, einige wichtige Punkte beiläufig erklä ren sollte.
Neanderthal
Die Knochen des Neanderthal-Menschen wurden erstmals 1856 im Neanderthal bei Düsseldorf zutage gefördert. Das Tal wurde nach einem einheimischen Dichter benannt, der seinen Familiennamen aus dem Deutschen ins Griechische übersetzt hatte: aus Neumann in Neander. Neanderthaler bedeutet also Neuer Mensch. Und das ist er. Der Neanderthaler stellte die Bevölkerung des Europas von gestern, ein Mitglied unserer eigenen Spezies, das schon vor fast einer Million Jahren zur Weisheit gelangte. Der Neanderthaler ist nichts als eine Version des modernen weißen Europäers mit großem Kiefer. Sein Platz in der Entwicklungsgeschichte der europäischen Halbinsel des eurasischen Kontinents kann folgendermaßen angegeben werden:
ZEIT
(von heute zurückgerechnet)
EUROPÄISCHE SUBSPEZIES
SPEZIES
0-35000
Moderne Europäer
Homo sapiens
35000-100 000
Neanderthalensis
Homo sapiens
100000-200000
Steinheimensis
Homo sapiens
550000-900000
Heidelbergensis
Homo erectus
Es ist eine Ironie der Geschichte, daß der Neanderthaler als Relikt aus ungeheuer alten Zeiten gilt und nicht als Neuling auf dem fossilen Schauplatz, wie seine Name impliziert. So war der Neanderthaler zufällig der erste fossile Mensch, der als solcher erkannt wurde, und als Folge wurden seine starken Augenbrauenwülste – die lediglich einen architektonischen Aspekt des Schädels darstellen, der dazu beiträgt, den Druck eines mächtigen Kiefers zu dämpfen – als ebenso abstoßende wie archaische Züge angesehen. Aber zu der Zeit wuß te
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