Anthropofiction
ebenfalls auf vokal-auditiven Nachrichtenübermittlungen, aber das Niveau der Signale ist das eines Rufsystems. Ein Rufsystem ist genauso wenig sprachlich wie das System visueller Signale, mit dem Hunde durch Körperbewegungen und Schwanzstellung miteinander kommunizieren.
Insgesamt geben Hunde viel mehr Signale als alle Affenarten, die nächsten Verwandten des Menschen. Letztere machen jedoch viel mehr Lärm um seiner selbst willen. Aber Affen sind wiederum vegetarische Weidetiere, nicht in Gruppen jagende Raubtiere wie Menschen und Hunde. Schäferhunde, die auf ein gro ßes Repertoire vom Menschen ausgestoßener akustischer Signale reagieren, werden niemals durch trainierte Schimpansen ersetzt werden. Die Sprache unterscheidet sich von allen anderen Systemen dadurch, daß nur die Sprache eine symbolische Form der Kommunikati on ist. Symbole sind arbiträr. Zwischen dem physikalischen Signal und seiner inhaltlichen Mitteilung besteht keine innere Beziehung. Bei Menschen sind die vokalen Signale natürlich nicht die einzigen physikalischen Merkmale, die symbolische Bedeutung annehmen können. Weihwasser besteht aus zwei Dingen, einer in der Natur vorgefundenen Substanz, H 2 0 – Wasser –, und einer Bedeutung, die ihm vom Menschen zugeschrieben wird. Kein Hund kann den Unterschied zwischen Weih- und Trinkwasser begreifen, aber jedes normale menschliche Wesen kann es.
Ein Mensch, der einem Hund Kunststücke beibringt, kann die Worte »mach Männchen!« als Stichworte für das »Männchen machen« einfuhren. Ebenso leicht könnte der Hund daran gewöhnt werden, in Reaktion auf irgendwelche Wörter oder auf einen Pfeifton besonderer Höhe oder einen Lichtstrahl von besonderer Wellenlänge »Männchen zu machen«.
Menschen sind konditioniert, auf Signale von anderen Menschen ganz ähnlich zu reagieren, wie Hunde von ihren menschlichen Herren stimuliert werden. Aber der Mensch spielt nicht nur eine passive Rolle. Allein der Mensch kann aktiv bestimmen, welche Bedeutung ein vokaler oder sonstiger Anreiz haben soll. Ein Mensch kann einen anderen Menschen lehren, daß »Halt!« heißt, man solle stehenbleiben. Ein Mensch kann das einem Hund lehren. Aber ein Hund kann das nicht einen Menschen lehren und nicht ein Hund den anderen.
Jede Sprache ist Kommunikation, aber nicht jede Kommunikation ist Sprache. Sprache ist das Merkmal des Homo sapiens und keines anderen lebenden Organismus. Die Sprache ist von den Rufsystemen anderer Säugetiere verschieden – dem Bellen der Hunde, dem Trompeten der Elefanten, dem Schreien der Gibbons und den Unterwassergeräuschen, die die Delphine hervorbringen. Die Unterscheidung kann in vier Punkte zusammengefaßt werden:
1.Andere Säugetiere stoßen Signale nur in Gegenwart des Reizes aus, auf den der Ruf eine Reaktion darstellt. Nehmen wir zum Beispiel die Gibbons, eine Spezies asiatischer Affen. Die Anwesenheit eines Feindes alarmiert die Erwachsenen so, daß sie ein Defensivknurren von sich geben. Alle Gruppenmitglieder stoßen leise Schreilaute aus, um so das Territorium unter Respektierung benachbarter Gruppen abzugrenzen. Spielgefährten zwitschern und quieken miteinander. Und das erwachsene Männchen plappert und gluckst, indem es die Gruppe auf ihrem täglichen Zug durch den Wald anführt. Im Gegensatz dazu befähigt die Sprache den Menschen, über außer Sichtweite befindliche Dinge, über nicht Existentes oder in Vergangenheit oder Zukunft Liegendes zu sprechen.
2. Rufsysteme sind größtenteils angeboren. Das Knurren, Schreien, Zwitschern, Quieken und Glucksen der Gibbons sind genetisch programmierte Reaktionen. Sprache wird durch eine Tradition von Lehren und Lernen vermittelt. Es gibt nur eine Spezies der Gattung Homo, aber viele verschiedene Sprachen. Die Fähig keit des Menschen, die Laute seiner besonderen Sprachgemeinschaft zu behalten und zu äußern, ist das genetische Markenzeichen der Spezies. Sprache ist wie Kultur überhaupt ein Beispiel biokulturellen Verhaltens.
3. In den Rufsystemen nichtmenschlicher Wesen gibt es für jede Situation nur einen angemessenen Ausdruck. Das Repertoire von Lauten ist begrenzt. Die Sprache ist ein offenes System. Es ermöglicht die Bildung neuer, nie zuvor gehörter Lautkombinationen. Ein dressierter Hund kann lernen, auf 77 bis 100 verschiedene Signale zu reagieren. Aber diese Signale schließen sich gegenseitig aus und gehören einem geschlossenen System an.
4. Die unbegrenzte Produktivität der Sprache beruht darauf, daß ein
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