Anthropofiction
Tiefenwahrnehmung aus. Das Sehvermögen der Primaten ist nahezu vollständig stereoskopisch. Das binokulare Gesichtsfeld beträgt bei Affen, Menschenaffen und Menschen 120° (aus einem gesamten Gesichtsfeld von 180°) im Gegensatz zu Pferden zum Beispiel, deren Augen sich an den Seiten des Kopfes so um eine Achse drehen, daß sie in alle Richtungen in einem Gesichtsfeld von 360° sehen können. Aber die in Pferdeaugen einfallenden Strahlen können nur innerhalb eines binokularen Gesichtsfeldes von 57° aus dem gesamten Gesichtskreis in einem Brennpunkt treffen (vgl. Campbell, 1966:75). Delphine sind vergleichsweise sehr beschränkt im Umfang der Überschneidung eines Doppelbildes, falls überhaupt eine solche existiert. Die höheren Primaten mit ihren vorwärts blickenden Augen können fast alles dreidimensional sehen, Affen, Menschenaffen und Menschen nehmen die Welt durch ein Paar außerordentlich feiner Entfernungsmesser wahr.
Die Tiefenwahrnehmung ist lebenswichtig für die Primaten, wenn sie sich mit allen vier Füßen springend, hangelnd und kletternd durch die Äste und Zweige der Bäume bewegen. Schnelle Fortbewegung auf diese Art erfordert eine hervorragende Koordinati on zwischen Fuß und Auge. Eine exakte visuelle Information über eine dreidimensionale Umgebung wird im Gehirn mit präzisen Bewegungen der Gliedmaßen koordiniert. Jeder, der einmal die blitzschnelle Grazie der Gibbons beim Durchstreifen der tropischen Wälder Thailands beobachtet und bewundert hat, muß auch das Gehirn der Gibbons bewundern, das so exakte Querverbindungen zwischen dem visuellen und motorischen Zentrum herstellt. Diese nervlichen Querverbindungen innerhalb des Hirns kann man selbst, wenn die Primaten rasten, am Werk sehen. Sie heben lose Gegenstände auf, um sie vor ihren Augen zu untersuchen.
Grundlegend für die Fähigkeit, Hand und Auge zu koordinieren, sind die Gedächtnisspeicher des Primatengehirns. Diese Gewebe des Hirns haben sich bei den Primaten weit über alles, was bei anderen Säugetieren vorkommt, hinausgehend ausgedehnt. Ohne umfangreiche Gedächtnisspeicher wären die Primaten nicht fähig, sich so, wie sie es tun, durch die Bäume zu manövrieren. Erstens muß ihr Gehirn die beiden sich überschneidenden Bilder des Zweiges, auf den sie springen wollen, vergleichen, wenn die Entfernung richtig geschätzt werden soll. Zweitens müssen sie gespeicherte Erinnerungen an die Eindrücke früherer Sprünge, Flugbahnen und Landungen heranziehen.
Die zur Sprache befähigte menschliche Intelligenz ist die zu einem Extrem geführte Intelligenz eines Primaten. Die Intelligenz ist nicht an irgendeinem speziellen Ort des Gehirns angesiedelt. Sie ist eher eine ganz allgemeine Möglichkeit der Erinnerung und Analyse von Eingaben. Unsere Primaten-Vorfahren haben diese Möglichkeit entwickelt als Folge der bei der Anpassung an ein Baumleben auftretenden Anforderungen an ihr Gehirn, visuelle Eingaben mit motorischen Leistungen in Beziehung zu setzen.
Der Mensch hat sich in Afrika als am Boden lebender Primat entwickelt. Er ging auf großflächigen Füßen, und die vorderen Gliedmaßen waren von der Aufgabe der Fortbewegung befreit. Seine Greifhände, die die Fähigkeit, zu greifen, von seinen baumbewohnenden Vorfahren beibehielten, wurden seitdem eher durch den Umgang mit Werkzeugen als durch die Fortbewegung in einer Waldumgebung mit den Augen koordiniert. Die afrikanischen Steppen des Miozän vor ungefähr 25 Millionen Jahren boten einem bei Tageslicht jagenden Räuber zwischen der Morgen- und Abenddämmerung, wenn die Raubkatzen und Schakalrudel nach Wild jagten, eine Chance. Die vormenschlichen Ahnen des Menschen, die Affenmenschen, nutzten diese Chance. Schlachterwerkzeuge kompensierten das Fehlen von Eckzähnen, die im Verlauf komplexer körperlicher Anpassungen an die aufrechte Haltung verkleinert wurden.
Werkzeuge komplizierten die Umwelt des frühen Menschen. Sie bildeten faktisch einen zusätzlichen Teil davon, den das Gehirn aussortieren mußte. Tatsächlich könnte man sagen, daß die Inanspruchnahme der Primatenanlage des Menschen zur Intelligenz bei seiner Anpassung ihre Weiterentwicklung notwendig machte, um das sinnvolle Wissen aus dem statischen, das die Umwelt in ständig zunehmendem Maße anfüll te, auszusortieren. Wissen ist das Heizmaterial der Intelligenz. Die Fähigkeit des Menschen zu symbolischem Denken in Sprache und Kultur ist möglicherweise ein Nebenprodukt der Notwendigkeit, mit einer
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