Anthropofiction
Deutlichkeit, das im Zitat wiedergegeben werden kann.
»Die Theorie von der Evolution«, schreibt der Professor, »ist nun weltweit von Zoologen und Botanikern akzeptiert und läßt sich vorbehaltlos auf den Menschen anwenden. Einige Fragen, die seine Seele betreffen, bleiben in der Tat offen, aber über die Bedeutung für den Körper sind sich alle einig. Der Mensch, so sind wir heute sicher, entstand aus einem affenartigen Vorfahren, von der Umwelt zum Menschen geformt, und jene Affen wiederum entwickelten sich aus früheren Formen einer niederen Ordnung, und so weiter, bis zurück zum anorganischen Urschleim. Daraus ergibt sich umgekehrt in aller Klarheit, daß der Mensch, bis das Universum zu bestehen aufhört, weiteren Modifizierungen unterworfen sein wird, zuletzt sogar seine menschliche Existenz aufgibt, um einem anderen Wesenstyp zu weichen. Und schon sehen wir uns einer Fülle faszinierender Fragen gegenüber. Welch ein Wesen wird dies sein? Wir wollen uns in diesem Werk über unsere Spezies ein wenig den Einflüssen widmen, die sie prägen.
Gerade so, wie der Vogel das Geschöpf der Schwinge ist, ganz und gar geformt und fortentwickelt zum Zwecke des Fliegens, und eben wie der Fisch das Geschöpf, das schwimmt und dem unbeugsamen Gesetz der Hydrodynamik ausgesetzt ist, so ist der Mensch die Kreatur des Gehirns. Er lebt, wenn er lebt, durch seine Intelligenz, nicht durch physische Kraft. So daß der Teil, der am Menschen rein animalisch ist, es ohne Frage sein muß, nicht mehr ist als seine bloße Form, und dieses, animalische muß schließlich in der weiteren Entwicklung ausgemerzt werden. Die Evolution ist keine mechanische Tendenz, die zu einer Perfektion führt, wie sie den Menschen im Jahre des Herrn 1892 vorschwebt; sie ist einfach die kontinuierliche Anpassung der Lebewesen an Gut oder Böse, an die Umstände, die sie umgeben Wir bemerken den Rückgang des animalischen Teils schon heute an uns, in der Schwäche des Kiefers und der mangelhaften Behaarung, in den kleineren Händen und Füßen des heutigen Menschen; auch Mund und Ohren sind zierlicher geworden. Der Mensch erreicht heute durch den Verstand, durch Maschinen und durch Verständigung, was er einst mühselig erschuften mußte; das Mittagessen mußte er jagen und fangen, die begehrte Frau entfuhren, vor seinen Feinden fliehen, und sich in diesen Fähigkeiten beständig trainieren, wollte er seine Sache gut machen und überleben. Aber das hat sich inzwischen alles gewandelt. Droschken, Eisenbahnen, Straßenbahnen, von den Geschwindigkeiten nicht zu reden; die Beschaffung der Nahrung ist erleichtert. Seine Frau muß er nicht länger entfuhren, sondern sie braucht ihn sich nur auf dem allgemeinen matriarchalischen Heiratsmarkt, wie er heute vorherrscht, auszuspähen. Man benötigt Verstand zum Leben, physische Anstrengung wird zur Last, ja zur Plage: wir brauchen künstliche Ventile und Entladungen in Kampfspielen. Athletizismus nimmt Zeit in Anspruch und verkrüppelt den Menschen in bezug auf seine geschäftlichen Fähigkeiten und für den Konkurrenzkampf. Deshalb ist der muskulöse Mensch seinem grazilen, geistreichen Bru der unterlegen. Er bleibt ohne Erfolg im Leben, heiratet nicht. Wer sich besser anpaßt, der überlebt.«
Der Mensch der Zukunft wird also ein größeres, schwereres Gehirn und einen schwächeren Körper haben als gegenwärtig. Aber der ehrenwerte Professor machte eine Anmerkung dazu.
»Die menschliche Hand, Lehrer und Vermittler des Gehirns, wird ständig in dem Maße an Feinheit und Kraft zunehmen wie die restlichen Muskelpartien schrumpfen.«
Infolge der Physiologie dieser Menschenkinder, mit ihren wuchernden Hirnen, ihren prächtigen, sensitiven Händen und geschrumpften Körpern, ergeben sich große Wandlungen.
»Wir bemerken nun«, sagt der Professor, »in den mehr intellektuellen Teilen der Menschheit eine extre me Empfindlichkeit gegenüber Stimuli, eine wachsende Abneigung gegen Alkohol zum Beispiel. Nicht länger kann ein Mann allein eine Flasche Portwein trinken; manche vertragen keinen Tee; es wäre zu strapaziös für ihre hochentwickelten Nervensysteme. Dieser Prozeß wird sich fortsetzen, und der Sir Wilfrid Lawson einer kommenden Generation mag es für seine vergnügliche Pflicht halten, den silbernen Atem seiner Weisheit scheltend gegen das Tee-Service zu erheben. Frisches rohes Fleisch war einst eine Mahlzeit für Könige. Nun berühren die Menschen kein Fleisch, bevor es auf raffinierte Art zubereitet
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