Anthropofiction
und durchaus häufiger phylogenetischen Veränderungen unterworfen wurden« – Ein schönes Wort! – »als die Wirbeltiere sich modifizierten. Niedere Formen wie der Hummer stellen eine ähnlich primitive Struktur dar wie die Fische. Bei einer solchen Form zum Beispiel wie dem kleineren Chondracanthus hat sich die Struktur wesentlich weiter vom Originaltyp entfernt als dies analog beim Menschen der Fall war. Unter einigen der am stärksten modifizierten Krustentiere bildet der Verdauungskanal – also die Verdauungs- und Ausscheidungsapparate – nur noch einen nutzlosen, verhärteten Strang. Das Tier ernährt sich parasitär – es absorbiert die nahrhafte Flüssigkeit, in der es schwimmt. Es ist absolut nicht ausgeschlossen, daß sich mit dem Menschen eine ähnlich geartete Wandlung vollzieht; möglich ist, sich vorzustellen, daß er nicht mehr mit einer unhandlichen Ausrüstung von Geräten und Platten zu Tisch sitzt, sondern speist, indem er ergreifend schlicht in einen Behälter mit Nährflüssigkeit springt.
Vor uns erhebt sich die eindrucksvolle Vision eines Gebäudes: ein kristallener Dom, auf dessen transparenter Oberfläche die herrlichsten Farben glorreich schimmern und sich brechen, verschwimmen und sich verändern. Im Zentrum dieses transparenten, chamäleonhaften Doms befindet sich ein rundes Becken aus Marmor, gefüllt mit einer klaren, dünnen, wohlriechenden Flüssigkeit, und darin tauchen und schwimmen wundersame Geschöpfe. Sind es Vögel?
Es sind die Nachkömmlinge des Menschen – bei der Mahlzeit. Wir sehen sie auf den Händen über den leuchtend weißen Marmor laufen – eine Methode der Fortbewegung, die schon jetzt von Björnsen energisch befürwortet wird. Großartige Hände haben sie, enorme Gehirne, sanft schimmernde, ausdrucksvolle Augen. Ihr gesamtes Muskelsystem, ihre Beine, ihre Abdomina sind zu nichts geschrumpft, ein degeneriertes, baumelndes Anhängsel ihrer Gehirne.«
Die weiteren Visionen des Professors sind weniger verlockend.
»Tiere und Pflanzen sterben dahin, ausgenommen jene, die man zur Ernährung oder zum Vergnügen erhält, oder solche, die sich behaupten, indem sie sich ihrerseits als Parasiten am Menschen mästen. Aber dem unermüdlichen Erfindungsreichtum und dem unaufhörlich wachsenden Wissen des Menschen wird diese Pest, dieses Geschmeiß früher oder später unterliegen. Wenn wir lernen (die Chemiker dringen zweifellos immer tiefer in dies Geheimnis ein), die Funktion des Chlorophylls ohne die Pflanzen zu verrichten, verschwindet die Notwendigkeit für Tiere und Pflanzen auf dieser Erde gänzlich. Über kurz oder lang, wenn Notwendigkeit und Wi derstandskraft nachlassen, sterben sie aus. In seinen letzten Tagen wird der Mensch allein auf der Erde sein, und die Chemie wird seine Nahrung aus dem toten Gestein und aus dem Sonnenlicht gewinnen.
Und – die vollständige Begründung kann man in dem ausführlichen und schmerzvoll wahren Werk Ge schichte der Ethik nachlesen – die irrationalen menschlichen Beziehungen werden einer intellektuellen Zusammenarbeit weichen, und das Gefühl wird von den Kräften der Vernunft verdrängt. Unzweifelhaft wird bis dahin noch eine lange Zeit vergehen, aber die Zeit zählt nicht vor dem Antlitz der Ewigkeit, und wer über diese Fragen nachzudenken wagt, muß der Ewigkeit beherzt ins Auge blicken.«
Denn die Erde, so erinnert unser ehrenwerter Professor, strahlt beständig Wärme ins Weltall aus. Und so kommt er schließlich zu einer Vision irdischer Cherubine, hüpfender Köpfe, hervorragender gefühlloser Intelligenzen, die unter dem Zwang der Verhältnisse einen grimmigen Kampf gegen die Kälte fuhren, welche sie mehr und mehr bedrängt. Denn die Erde erkaltet – langsam und unaufschiebbar, während die Jahre verstreichen, nimmt die Kälte zu.
»Wir müssen uns jene Geschöpfe der fernen Zukunft«, schreibt der ehrenwerte Professor, »in Stollen und Laboratorien tief unten im Herzen der Erde vorstellen. Die ganze Welt wird mit Schnee bedeckt sein, gewaltige Eismassen werden sich auftürmen; alle Tie re, jede Vegetation werden verschwunden sein, bis auf den letzten Zweig am Baum des Lebens. Die letzten Menschen stoßen immer tiefer in die Eingeweide der Erde vor, sie folgen dem erlöschenden Feuer des Planeten; große stählerne Ventilatorschächte versorgen sie mit der notwendigen Luft.«
So schließt der ehrenwerte Professor sein Horoskop mit einem Blick auf diese menschlichen Kaulquappen in ihren tiefen sicheren
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