Anthropofiction
und appetitlich garniert, folglich nicht mehr als Fleisch kenntlich ist. Und bedenken wir auch die Sache mit den Rüben; die rohe Wurzel ist jetzt ein schier ungenießbares Ding, aber vor langer Zeit muß eine Rübe ein seltener und glücklicher Fund gewesen sein, den man in irrsinniger Begierde aus der Erde riß und ekstatisch verschlang. Es wird eine Zeit kommen, in der dieser Wandel auch alle anderen Früchte erfaßt hat. Schon gegenwärtig verzehren nur die Kinder noch rohe Äpfel – die Kinder bewahren stets vorzeitliche Eigenschaften über deren Verschwinden bei den erwachsenen Exemplaren hinaus. Eines Tages werden kleine Jungen Äpfel ohne Interes se betrachten. Der Knabe der Zukunft, so müssen wir glauben, wird einen Apfel mit der gleichen gelangweilten Schlaffheit angaffen, wie er in unseren Tagen einen Kieselstein ansieht, wenn keine Katze in der Nähe ist.
Ferner spielen unter den modifizierenden Einflüssen, denen der Mensch ausgesetzt ist, die neueren Entdeckungen im Bereich der Chemie eine bedeutende Rolle. Schon in prähistorischen Zeiten hörte der Mund des Menschen auf, nur ein Instrument zum Erhaschen der Nahrung zu sein, und er verliert noch immer mehr von seiner Funktion des Zuschnappens und Kauens; die Frontpartie ist kleiner, die Zähne sind schmaler, die Lippen sind dünner geworden und die Kiefermuskulatur geringer. Der Mensch hat ein neues Organ, einen Kinnbacken, der nicht länger aus irreparablem Gewebe besteht, sondern aus Bein und Stahl – Messer und Gabel. Es gibt keine einsichtigen Gründe, warum die Entwicklung auf diesem Stand verharren sollte; dagegen genug Gründe, die für meine Behauptung sprechen, daß in der Zukunft ein scharfsinnig erdachter, externer Mechanismus die Mahlzeiten umgehend vorkaut und einspeichelt, in Unterstützung der degenerierten Drüsen und Zähne, Körperteile, die er schließlich gänzlich ablösen wird.
Denn, was nicht notwendig ist, das verschwindet. Welchen Zweck haben denn schon äußerliche Ohren, die Nase und die Brauen? Die Augenbrauen schützten einst dieAugen vor Verletzung durch Sturz oder Kampf, aber in unseren Tagen stehen, wir aufrecht und in tiefstem Frieden fest auf beiden Beinen. Denken wir dieseGedanken zu Ende, vermag der Leser flugs eine seltsame, doch strahlende Vision vom menschlichen Antlitz der Zukunft heraufzubeschwören: große Augen, lebensfroh, schön und ausdrucksvoll; über ihnen, nicht länger verdüstert von buschigen Augenbrauen, wölbt sich der Schädel, eine schimmernde, haarlose Kuppel, prächtig und schon; keine wuchtige Nase wirft mehr ihren plumpen Schatten auf die gleichmäßigen, edlen Formen des Gesichts, keine knotigen Ohren stehen mehr ab; der Mund ist eine kleine, runde Öffnung ohne Zähne und ohne Zahnfleisch, keine niedrigen Ge fühle, keine Lügenhaftigkeit zerstören seine Rundheit – er gleichtam Firmament der Mienen demMond in den Nächten der Erntezeit oder dem Abendstern.«
Solcher Art ist das menschliche Antlitz, das der ehrenwerte Professor in der Zukunft erblickt.
Natürlich werden ähnliche Veränderungen auch den Körper und die Glieder erfassen.
»Täglich werden viele Stunden und so viele Kräfte für den Verdauungsvorgang verbraucht; lähmende Stumpfheit, dumpfe Lethargie übermannen den Sterblichen nach dem Essen. Dies soll und kann vermieden werden. Das menschliche Wissen um die organische Chemie erweitert sich Tag für Tag. Wir vermögen bereits die Verdauungsdrüsen künstlich anzuregen. Jeder Mediziner, der etwas von seinem Fach versteht, weiß, daß die Körperfunktionen künstlich ersetzt werden können. Wir haben Pepsin, Pankreatinin, künstliche Verdauungssäuren – ich weiß nicht, was alles für Mixturen. Warum also sollte nicht endlich der Magen vollständig entfallen? Ein Mann, der sein Essen nicht nur anderwärtig zubereiten, sondern auch anderwärtig vorkauen und verdauen lassen kann, besäße gegenüber dem sklavisch verdauungstätigen Mitmenschen unermeßliche soziale Vorteile. Das ist, so möchte ich ins Gedächtnis rufen, das besonnene, leidenschaftslose, höchst wissenschaftliche Vorgehen, in dem, vom heutigen Tage an, die Zukunft die Welt formen wird. Unter Berücksichtigung dieser Aussichten werden die folgenden Tatsachen sicherlich die Vorstellungskraft des geschätzten Lesers anregen.
Es besteht nicht der leiseste Zweifel, daß zahlreiche Arthropoden, eine große Anzahl von Tieren weitaus urtümlicher, aber noch heute weiter verbreitet sind als die Wirbeltiere
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