Anthropofiction
hätte, wofür er eingetreten war. Wir mußten bleiben, aber wir mußten unseren Kopf benutzen. Wir mußten einen Weg finden, die Löwen daran zu hindern uns zu fressen, für jetzt und alle Zeiten. Was konnte das sein? Am Ende fand ich heraus, daß das die Schlüsselfrage war. Das ist die Schönheit logischen Denkens; es befähigt dich systematisch dazu, alle Alternativen auszusondern, bis uns noch die Grundfrage übrigbleibt, die beantwortet werden muß.«
Vater zog einen verkohlten Stock aus dem Feuer und untersuchte nachdenklich die qualmende Spitze.
»Ich wußte, wie wir alle, daß Tiere das Feuer fürchten. Wir fürchteten es natürlich auch, da wir Tiere wie die anderen sind. Von Zeit zu Zeit sahen wir es kochend und Blasen schlagend an den Bergflanken herunterfließen, dabei setzte es Wälder in Brand; und dann flieht jede Tiergattung in panischer Angst.
Wir flüchten fast genauso schnell wie das Wild, und die Gefahr macht Löwen und Affenmenschen zu Brüdern. Ganze Berge haben wir in Rauch und Flammen explodieren sehen, und dann läuft jedes Tier in Panik blindlings umher. So etwas kommt nicht oft vor, aber wenn es einmal geschieht, wissen wir was passiert. Kein Schmerz ist so schlimm wie der, der durch Verbrennungen entsteht, kein Tod so schrecklich wie der Flammentod. So scheint es wenigstens. Davon ausgehend war mein Problem, den Vulkan auszunutzen, ohne dabei selbst von ihm vernichtet zu werden. Was ich wollte, war ein kleiner tragbarer Vulkan. Dieser grundlegende Gedanke wurde mir eines Nachts, als ich die Barrikaden bemannte, plötzlich mit einleuchtender Klarheit bewußt. Aber die grundlegende Idee – die theoretische Lösung – ist eine Sache; eine durchführbare Anwendung, eine ganz andere. Ideen allein jagen noch keinen Bären aus seiner Höhle. Ich war in gehobener Stimmung über die Eleganz meiner Theorie, aber mir war klar, wenn ich nicht mehr tun würde, als mich an ihr zu erfreuen, würden ich und der Rest meiner Familie unweigerlich gefressen werden.
Wie funktionierte das Feuer? Meine zweite entscheidende Idee, die ich einige Zeit später hatte, war, daß ich auf einen Vulkan steigen mußte, um das herauszufinden. Es war das Naheliegendste; schon einmal hatte ich daran gedacht, und ich kann euch sagen, ich habe mich verflucht, daß es mir nicht schon früher eingefallen war. Jetzt zwang mich die Notsituation dazu. Aber es war klar, meine einzige Hoffnung, die Art von begrenztem Feuer, gerade groß genug für die Familie, zu finden, war die, einen Vulkan zu besteigen und irgendwie ein wenig Feuer herauszuholen. Ich hat te keine andere Möglichkeit – keine Zeit zu überlegen, wo ich sonst hätte suchen können. Deshalb entschied ich mich, alles auf eine Karte zu setzen.
So stieg ich den Ruwenzori hinauf. Ich orientierte mich an den Flammen, die aus der Bergspitze drangen und kletterte, mich am Rande der Gletscher haltend, ständig höher. Der Berg ist von einem Hochwaldgürtel umgeben, dazwischen stehen Kampfer und Wolfsmilch. So schnell ich konnte durchquerte ich ihn, indem ich mich teils auf dem Boden, teils durch die Bäume fortbewegte. Am Anfang war ich in Gesellschaft von Tieren – Warzenschweinen, Affen, verschiedenen Katzen – und Schwärmen von Vögeln; aber als der Wald allmählich lichter wurde, kam ich mir immer einsamer vor. Ich vernahm ein Geräusch, ein unterirdisches Grollen, das an Löwengebrüll erinnerte. Schließlich befand ich mich in einer Art wilden Savannenlandschaft aus schwarzen Felsen, Grasbüscheln und verkümmerten Bäumen. Es war furchtbar kalt, und stellenweise lag sogar Schnee. Die Luft wurde dünner und ich atmete in kurzen schmerzhaften Zügen. Jetzt war ich ganz allein, bis auf einen Tetratornis, der hoch über den Baumwipfeln kreiste, die ich weit hinter mir gelassen hatte, und der aus dieser Entfernung nicht größer aussah als ein Adler. Ein eisiger Wind kam auf, als ich eine öde Region erreichte, und ich zitterte vor Kälte, obwohl die Felsen unter meinen Füßen oft schmerzhaft heiß waren. Ich begann mich zu fragen, warum ich überhaupt hierher gekommen war; blankes Gestein und verfestigte Lava lagen nun vor mir, und weit darüber, unter einer Decke schwarzen Rauchs, ragte der geborstene Rand des Kraters empor. Nun dämmerte mir die schiere Vermessenheit meines Unternehmens: Ich wollte ein Mittel finden, womit ich die Barthaare eines Löwen ansengen konnte, an einem Ort, wo Felsen verbrannt waren als seien sie morsches Holz. Mein Herz versagte
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