Anthropofiction
auf ihren Flößen, von der Küste Perus aus lostreiben ließen, die Oster-Inseln streiften und sich später weiter westwärts bewegend, die Marquesas- und Gesellschafts-Inseln erreichten und bis zur westlichen Grenze Polynesiens vordrangen. Zweitens trennte sich eine Gruppe von Indianern des pazifischen Nordwestens der Vereinigten Staaten und Kanada von ihren Zedern und Totempfählen und paddelten in ihren Einbäumen nach Hawaii; danach breiteten sie sich Schritt für Schritt über die südlichen Inseln des polynesischen Dreiecks aus und vermischten sich mit den Peruanern, die in diesem Gebiet bereits ansässig waren. Dies setzt klarerweise eine fortgeschrittene Entwicklung der Muskulatur an den paddelnden Armen der Nordwestküstenindianer voraus, aber eine derartige Stärke ist sicherlich nicht bemerkenswerter als die unglaubliche Geduld, die die untersetzten Peruaner auf ihrer treibenden Rundreise zwischen den Inseln aufbrachten.
Unterbrechen wir kurz, um das Kon-Tiki- Floßselbst in Augenschein zu nehmen. Bewies Heyerdahl mit seiner Fahrt nicht wirklich, daß peruanische Indianer Polynesien auf solchen Flößen erreicht haben könnten? Die Antwort ist klar negativ. Das Kon-Tiki- Floßist ein Wasserfahrzeug, wie es von den Peruanern entwickelt wurde, nachdem die Spanier den Gebrauch des Segels dort eingeführt hatten. Obwohl die Peruaner, lange bevor der Weiße Mann eintraf, tatsächlich Flöße benutzten, um sich von ihren Küsten zu entfernen, so hatten diese Flöße keine Segel, sondern wurden von Paddeln angetrieben. Segelflöße vom Kon-Tiki -Typ wurden von prähistorischen Indianern nie benutzt. Mehr noch, die peruanischen Indianer, ob sie nun Segel oder Paddel benutzten oder sich nur treiben ließen, hatten nie den Vorteil von Lebensmittelkonserven, moderner Sonnendestillatoren, um aus dem Meer Trinkwasser zu gewinnen, Radios, Seekarten, Navigationsinstrumenten und das Wissen, wohin sie fahren würden. All das wurde von der Kon-Tiki -Crew benutzt, und es muß gesagt werden, daß ohne diese Hilfsmittel die Fahrt sehr schnell mit einer Tragödie geendet hätte. Als die Kon-Tiki auf Raroias Riff lief, waren noch immer 1500 Konserven an Bord. Demzufolge kann man annehmen, daß es für die Mannschaft unmöglich war, von dem allein zu leben, was das Meer lieferte. Warum sollte es dann für die weniger gut ausgerüsteten, ohne Segel fahrenden Indianer möglich gewesen sein?
Alles in allem war die Seereise der Kon-Tiki in keinster Weise ein gerechter Test der Segelfähigkeit der alten Peruaner und bewies nur folgendes: Benutzt man ein modernes, nach dem ersten Kontakt mit Europäern entstandenes Segelfloß, bestückt mit Navigationshilfen und moderner Überlebens-Ausrüstung, können Menschen eine 101-tägige Seereise zwischen Peru und Polynesien überleben.
Es braucht nicht erwähnt zu werden, daß die Reaktion der wissenschaftlichen Welt einheitlich negativ war, als Heyerdahls Theorie Schlagzeilen machte. Wie ich schon erwähnt habe, wurde dieselbe These etliche Male zuvor schon aufgestellt, und Heyerdahls Version war die gleiche alte Geschichte, lediglich mit einem neueren Mäntelchen versehen und von einer Springflut an Sensationspropaganda unterstützt. Die Art und Wei se, wie Tatsachen in das Schema der peruanischen Auswanderungstheorie hineingepreßt wurden, brachte Heyerdahl keine Anhänger unter Wissenschaftlern ein, die daran gewöhnt sind, sowohl von sich selbst, als auch von ihren Kollegen höchste Objektivität zu fordern. Einige Wissenschaftler unterzogen sich der Mühe und zeigten in wissenschaftlichen Zeitschriften verschiedene der zahlreichen Widersprüche und Mängel der Theorie, sowie der Anhaltspunkte, die ihr zu Grun de lagen, auf. Das Bekanntwerden der Kon-Tiki- Theorie stimulierte zu weiterer wissenschaftlicher Arbeit auf dem Gebiet der polynesischen Anthropologie. Die Resultate äußerten sich natürlich eher in einer Zunahme der Beweise die gegen die Theorie aufgestellt wurden, als zu ihrer Unterstützung beizutragen. Die Öffentlichkeit, sich der detaillierten Literatur über polynesische und amerikanisch-indianische Anthropologie vollkommen unbewußt, war gänzlich bereit die Hypothese zu akzeptieren, als diese in den zahlreichen bekannten Publikationen, die die Floßfahrt zum Thema hatten, erschien. Der Glanz eines solchen Unternehmens, die unleugbaren Mühen die der Besatzung auferlegt wurden, und ihr großer Mut, sich mit einer solchen Nußschale dem mächtigen Pazifik zu stellen,
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