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Anti-Eis

Anti-Eis

Titel: Anti-Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
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sein.«
    Ich schaute in sein langes, gequältes Gesicht und erinnerte
mich an Holdens Analyse bezüglich der geringen monetären
Kompetenz des Mannes. Sollte das die Achillesferse des großen
Ingenieurs sein, die Schwachstelle, die seine Arbeit
schließlich Makulatur werden ließ – genauso, wie die
Pläne seines Helden Brunel an kaufmännischer Inkompetenz
gescheitert waren?
    Ich hoffte, daß Traveller die Regierung nicht bei ihrem
obszönen Vorhaben unterstützen würde, aber sein
Gesicht verriet Unsicherheit, und seine nächsten Worte brachten
mir dann die völlige Gewißheit.
    »Gladstone ist ein Narr und Schürzenjäger, kein
Zweifel; aber er ist auch ein Politiker, Ned; und er hat Zweifel in
mir geweckt! Wenn ich nämlich diese Dinge konstruiere,
könnte ich sie vielleicht wirklich einem
›wissenschaftlichen‹ Einsatz zuführen, wie er sich
ausdrückt. Wenn jedoch weniger kompetente Leute daran
herumpfuschen, könnten wir eine Katastrophe eines Ausmaßes
erleben, die alles bisher Dagewesene übertrifft.« Sein
Gesicht war jetzt völlig offen und voller Schmerz. »Sagt
mir, Ned. Was soll ich tun?… Ich befürchte, daß ich
mit ihnen kooperieren muß, denn aus Angst vor der
Alternative…«
    »In Gottes Namen, Traveller, was sollt Ihr für sie
bauen?«
    Er senkte den Kopf, als ob er sich schämte.
»Raketenboote. Kleinere Versionen der Phaeton. Aber diese
würden dann nicht von einem menschlichen Piloten gesteuert
werden; statt dessen könnte eine Adaption meines
Navigationstisches, mit seinem gyroskopischen Leitsystem, die Rakete
ins Ziel führen.«
    Ich war perplex. »Aber was wäre der Zweck dieser
unbemannten Phaetonsi? Was würde geschehen, nachdem sie
gelandet sind?« Ich fragte mich vage, ob sie Munition oder
Vorräte in das belagerte Paris fliegen könnten, aber
Traveller schüttelte nur den Kopf.
    »Nein, Ned; Ihr seht es immer noch nicht. Und ich mache es
Euch auch nicht zum Vorwurf, denn dazu bedarf es schon einer
besonders teuflischen Vorstellungskraft.
    Das Raketenboot landet nicht. Vielmehr soll es wie ein
Artilleriegeschoß in die Erde einschlagen. Dabei zerbricht ein
Dewar mit Anti-Eis; das Anti-Eis kommt mit der Erdwärme in
Berührung und löst eine monströse Explosion
aus.«
    Er breitete die Arme aus und drehte sich wie ein Betrunkener.
»Ihr müßt zugeben, daß das Konzept eine gewisse
Größe hat«, meinte er. »In meinem eigenen
Garten, hier, könnte ich eine Granate abfeuern, die den Kanal
überquert, die ganze Strecke nach Paris fliegt und den Stolz
Preußens mit einem einzigen Hammerschlag
fällt…«
    »Nein!«
    Traveller und Pocket starrten mich an.
    Tausend Empfindungen strömten durch mein armes Herz.
    Die widersprüchlichen Gefühle, die ich für
Françoise hegte, tobten in mir: Das liebliche Gesicht, das im
Verlauf unserer gefahrvollen Reise um den Mond für mich zum
Talisman geworden war, ein Symbol der Hoffnung und der Zukunft, das
für alles stand, zu dem ich zurückkehren wollte; aber unter
dieser Oberfläche, wie sich auch unter dem schönsten
Gesicht ein Totenschädel verbirgt, drohte das Gespenst des
Franktireurs, ein Totem all derer, die Krieg und Tod auf der
zerbrechlichen Erdkugel entfesselten, die ich aus dem All gesehen
hatte.
    Wie mein Geist unter dem Ansturm dieser Gedanken erbebte! Und wie
weit ich mich von dem schlichten Burschen entfernt hatte, der vor
nicht einmal drei Monaten an Bord der Phaeton gegangen
war!
    Mein Kurs, so befand ich, war nun abgesteckt.
    Seit meiner einzigen Protestsilbe war kaum eine Sekunde
verstrichen. Ohne weiter darüber nachzudenken, machte ich auf
dem Absatz kehrt und rannte auf die verhüllte Form der Phaeton zu. Ich hörte, daß Traveller mir etwas
nachrief und mir mit langsamen Schritten folgte, aber ich dachte nur
an dieses Schiff.
    Ich mußte Paris erreichen – ich mußte
Françoise zur Rede stellen, sie retten, wenn ich dazu in der
Lage war, die britischen Bomben ablenken – und um das zu tun,
würde ich mit dem schnellsten verfügbaren Transportmittel
reisen – an den Kontrollen der Phaeton!

 
13

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Der Ballonfahrer
     
     
    Die Raucherkabine war liebevoll restauriert worden. Die durch
unsere mehrwöchige Gefangenschaft an den gepolsterten
Wänden verursachten Kratzer und Risse waren unsichtbar
ausgebessert worden, und ich stieß ein stummes Stoßgebet
aus, daß die Antriebssysteme des Schiffes sich in einem genauso
guten Zustand befanden.
    Hastig kletterte ich über eine Strickleiter auf die
Brücke. Einen Moment

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